„Wer das Leben nicht liebt, flüchtet ins Erhabene.“

Das sagt ein Journalist zu einem Literaturnobelpreisträger. „Wer das Erhabene nicht liebt, verschlammt im Leben“, antwortet dieser. „Enigma – das Rätsel“ im Forum Theater.

Armdrücken. Ein Mann im Anzug gegen einen in Fell auf einer abgeschiedenen Insel im Nordpolarmeer, das Refugium des Literaturnobelpreisträgers Abel Znorko. Zum ersten Mal seit Jahren hat er geruht, einen Journalisten zu empfangen. Erik Larsen. Doch das scheinbare Interview gerät schnell zu einem Kräftemessen, dominiert die ganze Handlung und stellt das Selbstverständnis beider Männer in Frage.

Klein1Eindrucksvoll transportieren Rainer Philippi und Michael Ransburg, wie die stark kontrastierenden Charaktere Znorko und Larsen darum ringen, was sie für Wahrheit und Liebe halten. Philippis Znorko ist anfangs arrogant, zynisch, überlegen, lässt Larsen seine Verachtung für alles und besonders die Medien spüren, die er eine „Überflutung mit Banalitäten“ nennt. Doch Larsens Fragen lassen die Fassade bald bröckeln, denn der vorgebliche Journalist weiß mehr, als zugibt, bringt den verletztlichen, einsamen und verzweifelten Znorko zum Vorschein, der sich hinter der Maske des Misantrophen bloß verbirgt. Aber nur scheinbar ist Larsen wegen des Interviews gekommen, und nur scheinbar hat ihn Znorko deswegen eingeladen. In Wirklichkeit hegen beide andere Absichten, Znorko will von Larsen Informationen über seine große Liebe Helene, der er seit Jahren nur noch Briefe schreibt und die im gleichen Ort wie Larsen lebt. Was Znorko nicht weiß: Larsen kennt Helene nicht nur. Er hat sie geheiratet. Und beantwortet seit einem Jahrzehnt Znorkos Briefe. Seit Helene verstorben ist.

klein4So viel Rätselraten und immer neue „Wahrheiten“, das ist das Stück „Enigma – Das Rätsel“, das am Forum Theater von Daniel Klumpp inszeniert wurde und seinem Titel mehr als gerecht wird. Verfasst hat es der französisch-belgische Dramatiker Eric-Emanuel Schmitt, der darüber schreibt: Die Figuren meiner Stücke sprechen viel, sagen aber selten die Wahrheit. Da hat er Recht.

Klumpps Inszenierung verzichtet auf große Spezialeffekte, das Bühnenbild ist karg, reduziert aufs Wesentliche, nur die nötigsten Requisiten, das entspricht gut dem Handlungsort, Znorkos einsamer Hütte auf seiner einsamen Insel. Außerdem lässt es Raum für die größte Stärke des Stücks: den Dialog. Immer pointiert, mal witzig, mal tiefgründig, mal bewegend. Was im Stück auch passiert, passiert vor allem im Gespräch.

Nach dem unvermittelten Beginn – Larsen wankt auf die Bühne und erbricht sich – lässt sich das Stück etwas Zeit, seine volle dramatische Gewalt zu entwickeln. Sie aber ist immens, steigert sich noch gegen Ende, bis vom ursprünglichen Figurenverhalten kaum noch etwas übrig ist. Znorko, der Zyniker, weint. Der Menschenfeind. Der Gefühlsfeind. Weint.

klein5Der Abend führt den Zuschauer in gedankliche Höhen und menschliche Abgründe, er lacht, er fühlt mit, denkt selbst nach. Theater, wie es sein sollte. Und zwischendrin wieder und wieder die Frage nach Wahrheit und nach Liebe. Ist sie nur die „Harmonie zweier Träume“, wie Znorko prophetisch sagt? Kann sie nur durch eine große Täuschung existieren, wie in seinem Fall? Solche Fragen sind es, die hinter der ganzen Handlung stehen. Die auch, nachdem im Stück alles enthüllt ist, verschleiert bleiben. Worauf noch niemand eine endgültige Antwort gefunden hat.

Etwas anderes aber lässt sich verraten: Larsen gewinnt das Armdrücken.

 

Text: Philipp Neudert / Raika Scherer
Bilder: Sabine Haymann