Erfrischend anders – das Herz eines Boxers

Leo (Frank Lienert-Mondanelli)
…Kordhosenträger
…im Altersheim weil er einen Schlaganfall vorgetäuscht hat
…Ex-Boxer, der sich ungern prügelt
…möchte mit dem Zug nach Marseille durchbrennen und endlich frei sein

Jojo (Joachim Foerster)
…Jogginghosenträger
…muss Sozialstunden in Leos Altersheim ableisten
…ein angeblich kleinkrimineller Jugendlicher – eigentlich aber ganz harmlos
…unsterblich in ein Mädchen verliebt

Leo und Jojo – Alt und Jung. Leo sehnt sich nach der großen Freiheit, Jojo scheut keine Mühe, um das Mädchen seiner Träume für sich zu gewinnen. Zwei Personen, die sich nie begegnen würden, wenn sie nicht müssten. Zwei Charaktere, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Erfrischend anders ist das Stück „Das Herz eines Boxers“, aufgeführt in der Boxx Heilbronn. Im Mittelpunkt steht der Dialog zwischen den Generationen, der – das beweist das Stück – gelingen kann. Auch wenn ganz zu Beginn weder von einem Miteinander-Sprechen, noch von einem Miteinander-Arbeiten die Rede sein kann:
Boxer Presse 2Als Jojo seine erste Sozialstunde im Altersheim antritt, trifft er auf den mürrischen Leo. Dieser scheint ganz und gar unbeeindruckt. Und schweigt. Schweigt. Schweigt. Jojo lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Schließlich will er so schnell wie möglich seine Arbeitsstunden hinter sich bringen. Er lässt sich nicht beirren und fängt sofort mit seiner Aufgabe an: Leos Zimmer im Altersheim zu streichen. Auch wenn Jojo mit Sätzen wie „Seh ich etwa aus als hätte ich ein Herz für Senioren?“ versucht, Leo irgendwie – wenn auch durch Provokation – zum Reden zu bringen, ist es doch der Senior, der sich einem Kennenlernen in den Weg stellt. Beispielsweise schüttet er Jojo aus purer Absicht Farbe über die Schuhe, anstatt den Farbeimer für einen Moment zu halten. Zwar ist der Farbeimer nicht gefüllt – man sieht die Farbe aber vor seinem inneren Auge förmlich triefen, so überzeugend spielt Joachim Foerster den mit Farbe übergossenen Jojo. Auf einer Leiter in Richtung Decke gereckt, um diese zu streichen, ist er der Situation hilflos ausgeliefert – und mit ihm auch der Zuschauer. Die Status-Verteilung im ersten Teil des Stücks ist also wie folgt: Leo erarbeitet sich Autorität indem er Jojo schlichtweg ignoriert und – nun ja – mit Farbe übergießt. Ganz nach dem Motto „Alt vs. Jung“. Der Spieß wird also umgedreht: sonst sind es oft die Älteren, die sich seitens der Jugendlichen angegriffen fühlen. Beobachten lässt sich das in alltäglichen Situationen. In der Bahn oder im Bus beispielsweise: Ältere fühlen sich oft angegriffen, wenn ihnen niemand einen Platz anbietet. Ganz oft ist es aber der Fall, dass Jugendliche sehr wohl Platz machen, und manchmal – sicherlich nicht immer – nicht einmal ein „Dankeschön“ kassieren. Eine Abwechslung also, die Jugendlichen in Erklärungsnot zur Hilfe kommt. Nein, nicht immer die Jugendlichen sind schuld: manchmal sind es auch die Älteren, die der Jugend die kalte Schulter zeigen.

Nach all der demonstrativen Ablehnung, die Jojo seitens Leo erfährt, ist es umso erstaunlicher, als doch plötzlich der Satz fällt „du hast ja richtig Charakter!“. Dieser Satz bringt Jojo zum Schmunzeln – und das Publikum gleich mit. Ab jetzt heißt es nicht mehr „Alt vs. Jung“ sondern vielmehr „Alt und Jung gemeinsam!“ Das Eis scheint vorerst gebrochen zu sein. Besonders wenn es um Jojos heimliche Liebe geht, taut Leo auf: mit Tipps der alten Schule steht er ihm zur Seite. Vor allem „diese roten Dinger mit der Blüte am Stiel“, Rosen, sieht er als Schlüssel zum Herz einer Frau. Wie zeitgemäß dies ist, muss jeder und jede für sich selbst entscheiden – vielleicht ein wenig veraltet. Immerhin wird deutlich: Es reicht keine Whatsapp-Nachricht, um jemandem seine Liebe zu gestehen.
Neben Ratgeber-Szenen in Sachen Liebe finden sich auch Situationen, in denen Jojo wie wild hin und her tigert. Wutentbrannt beschwert er sich über einen Kumpel – einen dieser Freunde, von denen er dachte, er sei ein wirklicher Freund. Mit solchen „Freunden“ hatte es wohl jeder schon einmal zu tun – aus dem Leben gegriffen also. Genau dann blüht Leo richtig auf: Mit Worten wie „Na los, mach ihn fertig“ feuert er Jojo an und macht ihm Mut. Nicht nur verbal unterstützt er ihn: Er entpuppt sich als ehemaliger Boxprofi und hilft Jojo, sich ohne Waffen zu wehren und erteilt ihm Trainingsstunden. Im Gegenzug dazu erweist Jojo Leo gegen Ende des Stückes seinen Dienst, als es um dessen Herzenswunsch geht: Mit dem Zug nach Marseille durchbrennen. Diese Reise allerdings kann der Zuschauer nicht mit verfolgen – nur nachschauen kann man Leo, wie er sich auf den Weg macht. Dies lässt einerseits Spielraum für eigene Bilder im Kopf, andererseits hinterlässt es ein Loch: noch schöner wäre es, zu erfahren, ob Leo sein Ziel in Frankreich heil erreicht.
Beide gehen getrennte Wege – doch eines haben sie gemeinsam: Sie boxen sich beide wortwörtlich zu ihren Träumen durch. Eine schöne Botschaft, die einmal mehr dazu bewegt, für seine Träume zu kämpfen und sich durch nichts und niemanden aufhalten zu lassen.

Insgesamt ein rasantes Stück, unterstützt durch fetzige Übergangsmusik zwischen den Szenen. Trotz eines einfachen Bühnenbilds, das lediglich aus einem Sessel und einer Leiter besteht, wird es nicht langweilig. Im Gegenteil: die Glanzleistung der beiden Schauspieler, die zu zweit das gesamte Stück stemmen, fesselt. Ein lehrreiches Theaterstück über eine Annäherung zweier Menschen, die das Hindernis Altersunterschied erfolgreich überwinden. Ungewöhnlich und erfrischend anders aufbereitet. Empfehlenswert für alle, die bereit sind, hinter die Fassade zu schauen und mit offenen Enden klarkommen.

Text: Leah Wewoda und Katharina Petry
Bilder: Boxx Heilbronn