Dornröschen – zeitlos schön!

Wer kennt das nicht? Prinzen, Feen und Bösewichte treffen alle aufeinander, verkleidet in
Kostümen, die ebenso phantasievoll, wie sie selbst sind. Im Grunde genommen erfüllt Marcia Haydées Choreographie zu Tschaikowskis Musik alle Erwartungen, die man an ein mehr als erfolggekröntes Handlungsballett stellt. „La belle au bois dormant“ diente inhaltlich als Grundlage für die Erstinszenierung nach Marius Petipa im Jahre 1890. Seit dem ist das Ballett von der Weltbühne kaum wegzudenken und begeistert Jung und Alt. Die Handlung ist typisch für romantische Märchen: Nach langer Zeit der Kinderlosigkeit sind der König und die Königin glücklich über die Geburt ihrer Tochter. Die Taufe wird pompös gefeiert, bis sich über die heitere Stimmung ein Schatten wirft. Es ist die böse Fee Carabosse, die erzürnt Dornröschen verflucht, da sie zur Tauffreier nicht eingeladen wurde. In letzten Moment schafft es die Fliederfee Dornröschen zu retten;  Zwar würde Dornröschen an einem Spindelstich nicht sterben, aber in einen 100 Jahre langen Schlaf fallen, aus dem sie nur die Liebe eines Prinzen befreien könnte. An ihrem 16. Geburtstag passiert das Unglück und Dornröschen fällt wie tot zu Boden. Und wie sich halt der Lauf der Dinge in einem Märchen entwickelt, erscheint Prinz Désire und belebt nicht nur sie, sondern den ganzen Hofstaat. Freude breitet sich aus und als Dénouement folgt die Traumhochzeit. Anders als in der Originalversion lässt Haydée in ihrer Fassung Carabosse nicht sterben. Sie soll weiterleben, da sie etwas widerspiegle, was wir alle haben: negative Kräfte.

„Dornröschen ist für mich ein Märchen, das sehr viel mit uns Menschen zu tun hat. Dornröschen, das ist die Tragödie von Carabosse und von der Fliederfee – von Gut und Böse.“ (Marcia Haydée)

Die Inszenierung und Choreographie (Marica Haydée) wird allen Kriterien nach dem Stück gerecht. Obwohl das Staatstheater Stuttgart bekannt für seine modern-avantgardistischen Produktionen ist, bleibt dies eine der beliebtesten klassischen Werke des Balletts. Dornröschen wurde seit 1987 mehrmals wiederaufgeführt und hat keineswegs an Glanz eingebüßt, sogar im Gegenteil, der Zuschauerraum war rappelvoll.  Die Inszenierung zeigt am Anfang die Pracht des barocken Zarenhofes und schafft eine gelungene Überleitung in das viktorianische Zeitalter, als Metapher für den hundertjährigen Schlaf der Titelrolle.  Jürgen Rose war für die Ausstattung zuständig und hat als Grundlage für alle Aufzüge  Arkaden genommen, die den Hofstaat darstellen. Die Symbolik ist kaum zu übersehen, je nach Situation sind diese unterschiedlich geschmückt, so sind es am Anfang nochBlumenkränze, von denen schließlich im zweiten Akt nur noch dürre Überreste bleiben.

Dornröschen Ch: Marcia Haydée nach Marius Petipa Tänzer/ dancers: Anna Osadcenko (Aurora), Constantine Allen (Prinz Desiré)
Tänzer: Anna Osadcenko (Aurora), Constantine Allen (Prinz Desiré)

Eine besondere Rolle spielt hierbei das Licht (Dieter Billino). Es betont die Charaktermerkmale der jeweiligen Figuren. Sehr eindrucksvoll zeigt sich das beim Auftreten der Carabosse (Jason Reilly), wenn die Bühne rot abgeschirmt wird und durch ihr meterlanges schwarzes Kleid düstere Stimmung herrscht. Die letzte Szene, die Hochzeit von Prinzessin Aurora (Anna Osadcenko) und Prinz Desiré (Constantine Allen) stellt zweifelsohne den Höhepunkt des Stücks dar. Dabei ähnelt das Ganze den sogenannten „Avengers“, ein social gathering zahlreicher Märchencharaktere, die samt Feen, Königinnen und Königen, das Happy End feiern. Insgesamt herrscht viel Dynamik in dem Moment, wenngleich die außenstehenden Charaktere etwas steif wirken können.

Dornröschen Ch: Marcie Haydée nach Petipa Tänzer/ dancers: Jason Reilly (Carabosse)
Tänzerin: Jason Reilly (Carabosse)

Die Rollen sind sehr gut besetzt, Anna Osadcenko brilliert als zierliche und unschuldige Prinzessin Aurora. Begleitet von Constantine Allan als Prinz Desiré bilden beide das  perfekte Traumpaar.  So sehr voller Gegensätze die beiden Feen Fliederfee (Miriam Kacerova) und Carabosse (Jason Reilly) sind, beeinflussen sie die Handlung maßgeblich. Die Fliederfee überzeugt als Wohltäterin, obgleich sie im Schatten der rachsüchtigen Carabosse steht. Jason Reillys Interpretation des Bösen und doch so Menschlichen ist kraftvoll, gar atemberaubend. Was einem absurd erscheinen mag, da man eine weibliche Darstellerin als Fee erwartet. Durch die bewusste Wahl eines Mannes als Carabosse tritt diese Rolle am meisten hervor. Die hervorragende Leistung der Compagnie des Stuttgarter Balletts und der John-Cranko-Schule runden den Auftritt gelungen ab. Auf das Staatsorchester ist wie immer Verlass. Auf den ersten Blick mögen Inszenierung und Choreographie einem kitschig und überladen erscheinen, doch eben das ist es, was die Magie des Stücks ausmacht und märchenhafte Stimmung erzeugt. Das Ballett ist ein Muss, egal, ob Kenner oder nicht, jung oder alt – Dornröschen verzaubert alle.

Text: Georgi Golubev und Charlotte Appenzeller
Bilder: ©Stuttgarter Ballett