After Theatre Talk: Die Nervensäge

Wir sind zurück im Studiotheater. Die Nacht ist lau, die Premierenfeier im vollen Gang – und dieses Mal haben wir auch die Bar gefunden.

GINA-JULIA Also bei mir gibt’s ein Getränk mit vergorenem Braumalzwürze und Fruchtsäften vom Bodensee – ein Seezüngle.

PHILIPP Das passt auch schön zusammen. Bei mir gibt’s ein Vollbier, hell. Ein Wulle.

GINA-JULIA Das ist auch gut. Also, wir haben heute Die Nervensäge gesehen, hier im Studio-Theater. Mein erster Eindruck, als ich reinkam, war tatsächlich: Es riecht nach Ikea.

PHILIPP Ich fand, es sah vor allem nach Ikea aus. Betten, Möbel, Nachttischlampen, alles sehr glatt, sehr modern. Aber es hat sich ja dann als Hotelzimmer herausgestellt.

GINA-JULIA Für mich wars der Geruch. Die Bühne war sehr vollgestellt, dadurch kommt das Ganze noch näher ans Publikum, als es sowieso schon ist in dem kleinen engen Raum. Das ist ein großer Vorteil von diesem kleinen Theater, dass man eben sehr nahe an dem ist, was auf der Bühne passiert. Gefällt mir sehr gut.

PHILIPP Klein, aber fein, könnte man sagen.
Es wird ja auch schön mit der Einrichtung gespielt, mit der Lampe zum Beispiel, die ständig runtergeworfen und wieder aufgestellt wird.

GINA-JULIA Das wird ein richtiger Running Gag. Als dann unsere Figuren auftreten, Francois und der Zimmerjunge, ist der Zimmerjunge sehr geschwätzig…

PHILIPP … und das zieht sich so durch das ganze Stück, die Geschwätzigkeit. Francois, der Fotograf, ist sicher der Meister dieser Disziplin, ganz im Gegensatz zu Jean, dem Auftragskiller. Obwohl sie so verschieden sind, haben ja beide ein ähnliches Ziel: Sie wollen im richtigen Moment den Kronzeugen erwischen. Francois mit seiner Kamera, Jean mit seinem Gewehr. Anfangs ist der Killer ja souverän, doch diese Souveränität verliert er im Lauf des Stücks komplett…

GINA-JULIA Jean kommt am Anfang so auf die Bühne, wie man als Schauspieler wahrscheinlich schon immer auf die Bühne kommen wollte: Sonnenbrille, Lederhandschuhe, dunkler Mantel, finster, schweigsam. Drama. Beide packen synchron aus, Jean baut sein Gewehr zusammen, Francois holt eine Schlinge aus seinem Koffer…

PHILIPP … Francois hat schließlich schrecklichen Liebeskummer, seine Frau Louise hat ihn für ihren Psychiater, Dr. Wolf, verlassen. Francois will sich umbringen. Er wird jedoch vorher entdeckt. Und weil Jean unter keinem Umständen die Polizei im Hotel haben will, bequatscht er den Zimmerjungen, niemanden zu verständigen, und erklärt sich bereit, sich um den armen Fotografen zu kümmern. Ohne mit dessen Talenten als Nervensäge gerechnet zu haben.

GINA-JULIA Eigentlich fängt in dem Moment, in dem der Zimmerjunge versucht, Jean irgendwelche Sachen zu erzählen, von einer Nagelschere, die ihm am Flughafen abgenommen wurde, zum Beispiel, diese unterdrückte Wut Jeans an, die sich durch das ganze Stück zieht. Weil ihn eigentlich nur alle nerven, alle stören bei seiner Arbeit, und ich finde, er spielt das ganz großartig. Ständig kurz vor dem Ausflippen, aber er weiß, Ausflippen bringt ihm jetzt nur noch mehr Ärger ein.

PHILIPP Er ist ja eigentlich der Bösewicht in diesem Spiel, und trotzdem hat man Mitleid mit ihm, eine richtige Lieblingsfigur, er durchleidet einfach so viel, er wird unter Drogen gesetzt, fast aus dem Fenster geworfen, von einem Rollladen fast erschlagen und ununterbrochen von Francois vollgequatscht und in dessen verkorkstes Liebesleben hineingezogen… Francois ist so eine Figur, die man schnell verstanden hat und die trotzdem nicht langweilig wird, weil er es immer schafft, noch schlimmer zu werden..

Dr. Wolf, Louise und Francois
Dr. Wolf, Louise und Francois

GINA-JULIA Es kommt irgendwann der Punkt, an dem man als Zuschauer denkt: Dieser Typ, Francois, ist wirklich eine furchtbare Nervensäge. Der Stücktitel hält also, was er verspricht!

PHILIPP Francois redet die ganze Zeit davon, dass die anderen ihn völlig zu Unrecht als langweilig und nervig empfinden, und damit entlarvt er sich ständig selbst. Das ist einfach sehr gut gemacht. Und auch sehr gut gespielt. Ich glaube ihm das total – auch wenn er Francois heißt und mit leicht österreichischem Einschlag spricht.

GINA-JULIA Überhaupt gefällt mir das Spiel von allen Schauspielern. Sie schwitzen, sie hängen sich rein, sie schreien, sie springen auf Betten, lassen Türen knallen, fallen aus dem Fenster…

PHILIPP Dabei sind sie von der Bühne her eher eingeengt, aber es ist total egal. Der Killer ist einen Meter von dir entfernt, und du glaubst trotzdem, dass er da beinahe aus dem Fenster fällt.

Ja… Ich habe noch so ein paar Zitate rausgeschrieben, Francois sagt „Es tut mir gut mit Ihnen zu reden“… Man muss einfach mit dem armen Jean mitfühlen!

GINA-JULIA Ich fand auch „Was haben Sie den besseres zu tun, als einem Menschen das Leben zu retten?“ ganz schön.

PHILIPP Wie diese Forderungen immer intensiver werden: Am Anfang soll er nur auf ihn aufpassen, dann soll er anrufen, dann soll er in die Reitschule gehen, den neuen Partner seiner Ex anrufen, ihn verprügeln, auf die Leiche aufpassen, also die angebliche…

GINA-JULIA Jean soll ganz schön viel für Francois machen. Er regt alle auf. Auch der anfangs absolut ruhige Dr. Wolf verliert nach fünf Minuten die Fassung und dreht – wie seine neue Freundin sehr beunruhigt feststellt – genauso durch wie der Rest, einfach nur aufgrund der Anwesenheit unserer Nervensäge.

PHILIPP Und Louise – man versteht natürlich völlig, warum sie Francois verlassen hat – nun ist sie doch bald wieder total hingerissen von ihm, als er da anfängt ihr einen unsichtbaren Luftballon aufzublasen. Etwas unverständlich, diese Szene.

GINA-JULIA Leider muss ich auch sagen, dass die Frau der blasseste Charakter ist. Natürlich ihre Hysterie ist ganz verständlich, aber so wirklich begeistert hat sie mich nicht.

PHILIPP Genau, sie ist nur da, damit es funktioniert. So ein bisschen eine Pappmacheefigur.

(wir schweigen und gehen unsere restlichen Notizen durch)

PHILIPP Eigentlich ist das Ganze ja virtuos gemacht. Die Szenen sind dynamisch, wie Jean zum Beispiel völlig betäubt über den Boden kriecht und den Justizpalast sucht, unter anderem im Bad…

GINA-JULIA Du siehst, ich muss immer noch lachen!

PHILIPP Im Stück sind so viele Klassiker drin: Verwechslungskomödie, Vergessenskomödie, zweideutige Situationen, die der immer wieder hereinstolpernde Zimmerjunge natürlich vollkommen falsch interpretiert…

GINA-JULIA Und trotzdem ist alles wirklich witzig. Nicht auf diese nervige Art. Sondern wirklich einfach angenehm unterhaltsam – unpolitisch, unmoralisch, vollkommen egal. Wer lachen will, bekommt von mir eine absolute Empfehlung!

PHILIPP Da kann ich mich dir nur anschließen. Oh schau, da kommt Pizza!

Text: Gina-Julia Westenberger und Philipp Neudert

Bilder: Daniela Aldinger