Kriegerin – Rassismus gegen Humanismus

BOXX – Stadttheater Heilbronn 26. September 2016

Mit der Bühnenadaption von David Wnendts Independentfilm »Kriegerin« wurde in der BOXX des Heilbronner Stadttheaters die neue Spielzeit 2016/17 eingeleitet. Die Auswahl dieses Stückes erwies sich in mehrfacher Hinsicht als Coup, da sowohl eine Affinität zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa, als auch zur Stadt Heilbronn gegeben ist, die ihr eigenes tragisches Kapitel in der NSU-Affäre verzeichnet. Ferner ist Fremdenhass und das psychologische Phänomen der Projektion, bei welchem persönliche Ängste auf andere soziale Gruppen übertragen und diese somit als Ablassventil missbraucht werden, eine globale, zeitlose Thematik.

Die Theaterfassung von Tina Müller reduziert sich auf die Hauptprotagonisten des Filmes, diese werden von vier Nachwuchsschauspielern verkörpert.

Die 20-jährige Marisa ist Teil einer neonazistischen Gruppierung. Überzeugt grölen sie und ihr Freund Sandro populistische Parolen, feiern und saufen zu Rechtsrock und träumen von einem »neuen erstarkten Deutschland ohne Multikultur und Überfremdung«. Eigentlich handelt es sich um perspektivlose Jugendliche, sehnsüchtig suchend nach der eigenen Identität und Gruppenzugehörigkeit. Im Zuge eines von Marisa bewusst herbeigeführten Unfalls, bei dem sie den Flüchtling Rasul und dessen Bruder mit dem Auto erfasst, entflammt ein innerer Konflikt in ihr. Sie nähert sich Rasul an und entschließt sich ihm zu helfen. Parallel gerät die zunächst unpolitische pubertäre Svenja, die unter der Marterung ihres konservativen Stiefvaters zu leiden hat, in die Fänge ebenjener radikalen Clique. Exemplarisch kommt es zu einer Rollenverschiebung der beiden Mädchen, eine ethische Zerreißprobe bahnt sich an, die in einer dramatischen Katastrophe ihr Ende findet.

04-kriegerin_48Schon beim Betreten der BOXX schallt die Melodie der Deutschen Nationalhymne in Dauerschleife über den Berliner Platz. Ein kluger Schachzug von Regisseur Adewale Teodros Adebisi, der die Spektatoren bereits auf das Kommende einstimmt und zum Nachdenken anregt. Das futuristisch-dynamisch gestaltete Bühnenbild von Gesine Kuhn, welches aus mehreren beweglichen Elementen besteht, bildet eine trostlose, öde Szenerie ohne Rückzugsräume. Über allem thront der ausladende Schädel eines Elches, gleich einem Götzenbild, der zugleich ein Sinnbild für Rasuls Destination, einer Weiterreise in die skandinavischen Gefilde darstellt, als auch seine dystopische Gegenwart in der Bundesrepublik chiffriert. Auf den rechten Partys wirkt das Geweih zugleich als ein prädestinierter Dekor-Artikel. Das befremdlich wirkende Kaltlicht harmoniert exzellent mit den sphärischen, düster-anmutenden Elektrobeats von Sola Plexus und kreieren einen Ort der Hoffnungslosigkeit und des Siechtums – der Zerfall der Ethik und Solidarität in Europa.

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Ansonsten geht die Inszenierung weniger unter Haut und die 90 Minuten erfordern reichlich Sitzfleisch. Zwar versuchen die Darsteller immer wieder das Publikum direkt anzusprechen um eine Selbstreflektion zu induzieren, doch dies gelingt nur bedingt. Der prosaistische Stil der Theaterfassung, die vereinzelt Elemente des epischen Theaters aufweist, wirkt in ihrer künstlerischen Umsetzung eintönig. Die angekündigte Mileauanalyse und Fokussierung auf die Fallhöhen der Hauptfiguren bleibt weitestgehend aus. Anstelle eines energetisch-emotionalen Mitfieberns der Zuschauer wird das Stück zur Lehrinstanz mit erhobener Moralkeule. Doch die Inszenierung verzeichnet auch gelungene Momente, die dann für kurze Dauer die Spektatoren fesseln. Insbesondere überzeugt Henry Arturo Jiménez mit einer authentischen Darstellung des liebenswürdigen Emigranten Rasul.

Gulia Weis mimt Marisas Mutter als gebrochene Frau und ihr gelingt es gar in ihrem Auftreten und ihrer Stimme einige Jahre älter zu werden. Ferner beweist sie ein hohes Maß an Wandlungsfähigkeit und verkörperte zudem noch die Protagonistin Svenja mit einer Synthese aus Naivität, Neugier und Pathos. In der Rolle der Flüchtlingshelferin Frau Kachel enttäuscht sie und zeigt sich als (gewollte) Persiflage einer stereotypischen Sozialarbeiterin. Hier bedient der Regisseur bewusst ein Klischee um dem Stück auch eine humorvolle Note zu verleihen, wobei dieser Bruch als störend empfunden werden kann. Sascha Kirschberger hat ebenfalls keine leichte Aufgabe und muss gleich drei Rollen verkörpern. Er spielt den kriminellen Rüppel Sandro nicht genuine, ohne entsprechende Härte und aufgesetzt. Den trotteligen Mitläufer Markus figuriert er leicht zynisch und glaubhaft.

Die Hauptprotagonistin Marisa, anfänglich wenig überzeugend dargestellt von Helene Aderhold, findet im Laufe des Stückes zu Stärke in der Darstellung und beendet das Stück mit einer soliden Leistung. Ein Sammelsurium aus Lunten, Ketchup, Kunstblut, Bierflaschen und Erbrochenen zieren am Ende die Bretter der Bühne – ein Pistolenschuss – BLACK. Applaus.

»Kriegerin« versäumt es die Zuschauer zu fesseln und bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Es hapert an der inszenatorischen Umsetzung dieses gelungenen Filmes als Theaterstück.

Text: Tobias Frühauf und Philipp Wolpert

Bildrechte: Stadttheater Heilbronn