TheaterNETZ unterwegs…im Mainfranken Theater Würzburg

Nathan der Weise – Aufruf zur Reflexion des eigenen Denkens und Handelns

Mainfranken Theater Würzburg Premiere, 01. Oktober 2016

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Einen Ort der Begegnung, eine Plattform des öffentlichen Diskurses – das Theater als Katalysator des Gedankenspiels. Die Ziele des neuen Intendanten des Mainfranken Theaters, Markus Trabusch, lassen sich mit diesen Worten abstrahieren. Der frische künstlerische Geist macht sich bereits in der gesamten Universitätsstadt bemerkbar. Blaue Fahnen mit dem neuen Signet des Dreispartenhauses verkünden eindrucksvoll den Beginn der Spielzeit 2016/17, die sich mit dem zentralen Thema des Glaubens auseinandersetzt. Mit der Premiere von »Nathan der Weise« gelingt Regisseur Trabusch und seinem souverän aufspielenden Ensemble ein Husarenstreich.

Lessings analytisches Drama der Aufklärung funktioniert im Großen Haus dank der Fokussierung auf die facettenreiche textliche Vorlage, die sowohl ein hohes Maß an Ratio, Wortwitz, lyrischer Ästhetik und Sokratik kombiniert. Das Drama um den solonischen und wohlhabenden jüdischen Kaufmann Nathan hat nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, man denke nur an die gegenwärtigen Kriege, die durch augenscheinlich divergierende religiöse Ansichten induziert wurden sowie die Säkularisierung unserer Gesellschaft.

Die eigentliche Hauptintention des Verfassers ist allerdings kongruent mit der Maxime der Aufklärung: » Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«. Passend hierzu wird zu Beginn in weißen Lettern Lessings Einführungsgedanke »Tretet ein, auch hier sind Götter« auf die Bühne projiziert.

Trabusch bedient sich bewusst dem Mittel der Reduktion und legt somit das Hauptaugenmerk auf die handelnden Protagonisten – ihre Denkweisen, ihre Weltanschauung, ihre Beweggründe, ihre Fallhöhen.

Ines Nadler kreiert ergänzend hierzu einen leeren Raum, den die Protagonisten mit ihren Notionen und Worten füllen. Doch der Raum ist zur Metamorphose bestimmt und erfährt ebenso eine Wandlung, wie die Figuren in ihrem Handeln und Denken. Im Zentrum der Bühne ermöglicht die Drehscheibe, durch vertikal angebrachte Wandelemente, diverse räumliche Trennungen. So werden beispielsweise im geschlossenen Raum, gleich dem stillen Kämmerchen, Intrigen gesponnen und Geheimnisse entlüftet.

Zugleich ist ebenjenes Rondell als Verweis auf die Ringparabel anzusehen. Bei jenem Gleichnis stellt sich Nathan der Forderung des Sultans Saladin und soll die essentielle Frage nach dem Einen und Wahren Gottesglauben beantworten. Nathan kontert im Sinne der Aufklärung mit ebenjener bildhaften Erzählung, um den liebenden Vater, seinen drei törichten Söhnen und den weisen Richter.

Interessanterweise lassen sich zudem die Bezüge dieser elementaren Textpassage bereits bei der Gestaltung des Titelbildes des Plakates und der Programmillustrierten konstatieren. Ein junger Primat steht im Zentrum – vielleicht ein Indiz für die evolutionsbedingte Abstammung des Menschen vom Affen. Eine Aussage, wonach alle Menschen den gleichen Ursprung haben und somit alle monotheistischen Religionen legitimiert sind. Eine Aussage, die Toleranz fordert und zum friedlichen Miteinander aufruft.

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Das Ensemble besticht mit einer starken Gesamtleistung, dennoch müssen einige Schauspieler hervorgehoben werden. Meinolf Steiner als Nathan spielt den Hauptprotagonisten und verleiht diesem durch Charme, seiner exzeptionellen Stimme und zynischen Gebaren eine individuelle Note. Seine charismatische Ausstrahlung und seine abgeklärte Erhabenheit erweisen sich dem weisen Nathan mehr als würdig. Als Erzähler der Ringparabel zieht er mit Lessings starken Worten sämtliche Zuhörer in seinen Bann. Der zunehmend profaner werdende Sultan Saladin ist mit Georg Zeies optimal besetzt.

In ruhiger Art mimt er einen stolzen, aber auch ehrlichen Mann und avanciert sich zu einem der Sympathieträger des Abends. Seine Erscheinung harmoniert bestens mit derer Nathans und strahlt sowohl Ruhe, Gnade und wahre Größe aus. Frischen Esprit, Jugendlichkeit, Dynamik und Leichtigkeit bringen sowohl der junge Tempelherr (Martin Liema) und Recha (Helene Blechinger) auf die Bühne. Ihr verliebtes Aufeinandertreffen, ihr emotionales Brennen, ihr stürmisches Drängen ist ein Kontrast zur stellenweise kühl-anmutenden Rationalität ihrer Spielpartner.

Die musikalische Untermalung von Adrian Sieber bedient sowohl klassische Klänge des Morgenlandes, wie auch moderne, cineastische Musik. Der Einsatz dieses Stilmittels schafft dichte Übergange und setzt nach relevanten Handlungssträngen oder als emotionale Monologuntermalung ein. Wichtige Charaktere erhalten zudem ihre eigenen Themen.

Insgesamt ist der Einstand Trabuschs mehr als beachtlich. In der schlanken Inszenierung gelingt es ihm einen Spannungsbogen aufzubauen – wo hingegen schon so manches Theater an der Adaption des klassischen Stoffes gescheitert ist. Neben einem hohen Maß an handwerklichen Geschick, schafft er in seiner minimalistischen Inszenierung abschließend ein starkes Bild der Gleichheit. Der äußerst optimistische Schluss, der bereits in der literarischen Vorlage vorliegt, spendet Hoffnung in turbulenten Zeiten.

Dass Trabusch der richtige Mann für das Mainfranken Theater ist, scheint er bereits bewiesen zu haben – die Spektatoren umjubeln minutenlang sein Debüt und das neubesetzte Schauspielensemble.

Text: Philipp Wolpert und Tobias Frühauf
Bildrechte: Mainfranken Theater Würzburg