Homo Faber Pocketversion – Eichberg glänzt in Vornams gelungener Inszenierung

BOXX – Theater Heilbronn 17.10.20

»Immer dieser Bericht, immer dieser eine Bericht«.
Vier Turbinen rotieren apathisch inmitten einer kargen Wüstenszenerie. Über den technischen Apparaturen befindet sich Spiegelglas – die Koryphäe der menschlichen Selbstreflexion. Ein Mann tritt schweren Schrittes vor die anwesenden Spektatoren. Blauer Dunst, eine markante Silhouette, eine durchdringende Stimme.

Gestatten Walter Faber. Schweizer. Ingenieur im Dienste der Vereinten Nationen.  Scheinbar eine Allegorie auf die Rationalität und den Fortschritt. Pathetische Emotionalität bezeichnet er als Schwäche des humanen Konstrukts, als Ermüdungserscheinung. Mythos, Kunst und soziale Bindungen lehnt er vehement ab. An Fügungen und Schicksal glaubt er nicht, beruht die Stochastik doch einzig und allein auf der Logik. Stereotypisch ordnet er den Frauen klare Verhaltensmuster zu und vergleicht das gemeinsame Zusammenleben mit dem weiblichen Geschlecht mit der Existenz in einer Fremdlegion. Doch das unumstößliche Weltbild Fabers wird in der kurzweiligen Spielzeit von anderthalb Stunden in seinen Grundfesten erschüttert.

Zu guter Letzt, kurz vor seinem Tod, entdeckt der Hautprotagonist seine wahre, lang unterdrückte Identität. Statt seinen Lebensentwurf gemäß einer oberflächlichen Lüge zu formulieren, verfasst er einen emotionalen Bericht, der seinen seelischen Zustand und seine beiden prägendsten Lebensstationen offenbart.

Monoton getaktet werden in Schreibmaschinenlettern Fabers zentrale Notizen, Gedankengänge, Notionen und Schimären an die hintere Bühnenwand projiziert. Gleich dem vollstreckenden Richter, der den Hammer der Judikative schwingt, bohren sich die auditiven Anschläge der Schreibmaschine in Fabers Gedächtnis und treiben ihn zunehmend in die Enge.

Stephan Eichberg (Walter Faber) ist ein Sprachästhet der Extraklasse. Seine Stimme, Rhetorik und Artikulation harmonieren exzellent mit den Audioeinspielungen der Schreibmaschine und ergeben eine stimmige Symbiose, gleich einer kongenialen orchestralen Komposition. Geschickt, wie hier inszenatorisch die dynamischen Wechsel, zwischen Technik und Menschen, eine Brücke zwischen der ambivalenten Fassadenhaftigkeit des Ich-Erzählers schlagen. Eichberg verleiht Max Frischs Romanfigur ein Profil und eine Seele. Durch seine Verkörperung wird es manch einem erst möglich sich mit dem kühlen literarischen »Antihelden« zu identifizieren und mit ihm mitzufühlen. Eichberg leistet wahrhaftig großartiges und glänzt. Sein Charisma und seine figurierte Autorität ziehen das überwiegend jugendliche Publikum vollkommen in den Bann. Die Menge schweigt, sobald Eichberg das Wort ergreift.

Der Neuzugang des Heilbronner Theaters Sven Marcel Voss beweist in der Rolle des Lajser Lewin, in gelungener leicht dosierter Manier, Talent für ulkige Charaktere. Antithetisch hierzu spielt er Herbert Henke der eingangs sympathisch-naiv wirkt und dennoch melancholische Wesenszüge offenbart, insbesondere als er mit dem Suizid seines Bruders Joachim konfrontiert wird. Gulia Weis (Sabeth) beweist eine enorme Bühnenpräsenz und schenkt mit ihren wachen Augen und ihrer kecken Spielweise der Inszenierung frischen Esprit. Sabine Unger spielt Fabers Jugendliebe Hanna vereinsamt, traurig, aber dennoch mit Stolz.
Intendant Axel Vornam inszeniert »Homo Faber« als mitreißende dichte Pocketversion und konzentriert sich auf die wesentlichen Inhalte der Bühnenfassung von Peggy Mädler. Gerade der Mut zur ebenjener Reduktion, die Fokussierung auf Sprache und feine Emotionen ermöglicht ein makelloses Gesamtwerk. Tom Musch kreiert gemäß Vornams Regiekonzeption ein stützendes Bühnenbild. Die Wüste ist ein karger Ort, kein Leben gedeiht auf den ersten Blick. Die strikte Trennung zwischen Maschine, Mensch, Natur vereint sich am Ende in Fabers Person. Die stimulierende Beleuchtung von Carsten George ermöglicht trotz der scheinbaren Tristesse der Bühne, das authentische Eintauchen in zahlreiche Spielorte der Neuen und Alten Welt.

Frischs »Homo Faber« eignet sich hervorragend für die Bühne, zentrale Elemente gleichen der antiken Tragödie.  Chapeau, dem Ensemble und dem Regieteam – diese Auffassung teilen auch die vollbesetzten Zuschauerränge, die diese Leistung mit gehörigen Sonderapplaus honorierten.

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Text: Philipp Wolpert und Tobias Frühauf

Bildrechte: Theater Heilbronn