Blutgeld – Adenauers Weg

„Der Verkäufer des Blutes unserer Väter und Mütter“ – eine Stimme unter vielen, die dem israelischen Ministerpräsidenten Staatsverrat vorwerfen. Der Grund: David Ben Gurion stimmte der Aufnahme eines deutsch-israelischen Gesprächs mit Bundeskanzler Konrad Adenauer zu. Die politischen Wellen Israels schlagen hoch, schließlich ist der Holocaust nicht mal ein Jahrzehnt her.

Es war eine Zeit voller politischer Diskussionen und geheimen diplomatischen Unterredungen – begleitet vom emotionalen, historischen Gedächtnis des jüdischen Volkes. Die Zeit der politischen Oppositionen und Auseinandersetzungen sind allerdings noch nicht vorbei,  die deutsch-israelische Beziehung blieb bis heute ein Thema mit vielen Stolpersteinen und Differenzen.

So wundert es nicht, dass nach über 50 Jahren, die nachkommende Generation ebenso erfahren will, was zwischen Adenauer und  Gurion besprochen wurde und welche Interessen im Spiel waren, wie die Menschen damals.

Die Bühne des „Alten Schauspielhauses“ Stuttgarts täuscht zunächst mit einem zunächst einfach gehaltenen Bühnenbild über den raffinierten Ausbau der Spielstätte hinweg. In einem gemütlichen Wohnzimmer stehen ein altmodisches Sofa mit Tisch, ein Sessel und dem passenden Bücherregal. An einzelne Regalböden sind große Zettel geklebt, von denen jeder einzelne mit einem hebräischen Spruch beschriftet ist – wie sich später herausstellen wird: Gedankengut des sozialistischen Großvaters. Enkelsohn Liam, für dessen Besuch der Kaffeetisch gedeckt wurde, reiste zusammen mit Freundin Angela zu den Großeltern nach Israel. Das Bekanntmachen der Familie mit Dokumentarfilmerin Angela verläuft herzlich schräg: Ja, sie ist eine Deutsche! Nein, keine jüdische Großmutter! Warum sie dann hebräisch spreche und einen Dokumentarfilm über die Nachkriegszeit dieses Landes drehen wolle? „Ich interessiere mich einfach für Israel“, lautet Angelas Antwort.

liam-und-angelaKameramann Liam, der zum Leidwesen seiner Großeltern nach Berlin („Ausgerechnet nach Berlin!“) ausgewandert ist, interessiert sich für die Vergangenheit Doras und Nahums, die zur Regierungszeit Gurions auf verschiedenen Seiten standen. Stichelnd, ironisch und mit eingeworfenen hebräischen Sätzen, deren deutsche Übersetzung auf den hinteren Trennvorhang geworfen wird, werden die damaligen Rollen der Großeltern enthüllt – da helfen auch Doras anfängliche „Iss den Kuchen“- Befehle nichts. Lächelnd erzählt Dora von ihrem engen Verhältnis mit Ministerpräsident Gurion, dessen Stenotypistin, „Seelenwächterin“ und zweites Paar Augen und Ohren sie war. Johanna Hanke beweist ihr Schauspieltalent durch ihre charmante, witzige Darstellung der Dora. Mal geheimnisvoll schmunzelnd, mal mit Elan konternd verdeutlicht Hanke die Vielschichtigkeit der kleinen Powerfrau.

nahum-und-doraDora sei eher eine Spionin gewesen, behauptet Großvater Nahum. Er träumte damals von einem Staat Israel, der sich selbst versorgt und unabhängig bleibt. Der junge Sozialist ist Vorsitzender der sozialistischen Oppositionspartei und  betrachtete die Verhandlungen Gurions mit Missachtung.

In einer Schlüsselszene offenbart sich, wie es wirklich um den jungen Staat bestellt gewesen war. Mit plötzlich jugendlicher Kraft erklimmt Nahum die Treppe zur zweiten Bühne, welche zuvor durch einen Vorhang nicht zu sehen war, und schreit zu einem auf einer Balustrade an der rechten Seite der Bühne stehenden Kapitän hinauf. Im Hintergrund  ein großer Dampfer, der Getreide abliefern soll – aber ohne Geld wird es keinen Handel geben. Der Seemann lässt sich nicht auf die Tricks Nahums ein und lässt diesen verzweifelt stehen. Die Rolle des knorrigen, dickköpfigen Großvaters, der trotz seines Alters dieselbe politische Leidenschaft in sich hegt wie zu Zeiten Gurions, meistert Pavel Fieber mit Bravour. Intensiv spiegelt seine starke Mimik Nahums Innenleben und bleibt auch während des Zusammenspiels mit Sohn Daniel Fieber als Liam fest in der Rolle.

Daniel Fieber hält sich während des Großteils der Inszenierung zurück – wohl auch wegen des kleinen Redeanteils – und kann erst zum Schluss in einem eingespielten Video seine Fähigkeiten und hohes Mienenspiel unter Beweis stellen. Leider wirkt der Kurzfilm innerhalb der gesamten Inszenierung fehl am Platz, trotz klar verständlicher Intension. Der gefilmte Bombenanschlag verdeutlicht die aktuelle Krisenlage des Staates und die Veränderung in Liam selbst. Stärker dagegen tritt Kim Zarah Langner als neugierige Angela hervor, die unbedingt die Hintergründe der Auseinandersetzungen wissen möchte und gekonnt den Scharfsinn der Filmemacherin auf die Bühne bringt. Durch wechselnde Stimmlagen und ausdrucksstarkem Gestus macht sie Angelas Position klar – sie bleibt kritisch und lässt sich nicht mit Ausreden abspeisen.

politikDas Israel der Nachkriegszeit muss sich also mit ganzer Kraft sowohl seinem politischen, militärischen und finanziellen Aufbau widmen, als auch die Aufnahme jüdischer Flüchtende aus der ganzen Welt organisieren. Die Mittel sind begrenzt und fachen die innenpolitischen Diskurse stark an. In düsterer ernster Atmosphäre sitzt die Regierung an dunkelgrauen Quadern – jetzt Tische und Stühle, später Rednerpult und Cafébestuhlung – und bespricht den prekären Zustand des Staates. In der Mitte Ministerpräsident Gurion, für den leere Staatskassen und außenpolitische Anerkennung Grund genug ist, ein israelisches Tabu sondergleichen zu verhandeln: den „heiligen Boykott“. Die strikte Ablehnung Deutschlands und jegliche Dinge, die mit Deutschland in Verbindung gebracht werden könnten, war in Israel nach dem Ende des zweiten Weltkriegs eine Selbstverständlichkeit.

Als nun der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer mit dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion das Gespräch sucht, schlagen die politischen Wellen Israels hoch. Top-Thema? Deutsche Schadensersatzzahlungen für das von den Nationalsozialisten beschlagnahmte jüdische Eigentum.

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Großartig werden die Emotionsausbrüche und scharfen Auseinandersetzungen von den Schauspielern auf die Bühne gebracht, die selbst unter dem Druck mehrere Rollen zu übernehmen, überzeugend bleiben. Allen voran Peter Kempkes, der Dank der tollen Maske Ben Gurion äußerlich gleicht und sowohl im Zusammenspiel mit Adenauer alias Ernst Wilhelm Lenik, als auch in sonstigen Diskussionen als Ministerpräsident authentisch brilliert. In seinem inneren Für und Wider schlägt er sich gegen den Konter der politische Gegner, deren gefühlsgeleitete ‚Clownspolitik‘ ihm widerstrebt, durch und steht zu seinem Pragmatismus, den deutschen Schadenersatz für den Aufbau seines Landes einzusetzen. Unberührt bleibt er von Kritik aber nicht und fragt sich in stillen Minuten, wie er sich anmaßen könne, für die jüdischen Opfer zu sprechen.

Peter Kempke in nichts nachstehend, verwandelt sich Ernst Wilhelm Lenik auf der Bühne in Kanzler Konrad Adenauer. Leniks Gestik, Habitus und vor allem seine fantastische Imitation der ‚kölschen‘ Mundart, lassen ihn als perfekte Besetzung für diese anspruchsvolle Rolle erscheinen. Offen lässt er sich auf das Treffen mit Außenminister Mosche Scharet in Luxemburg ein und bleibt, trotz dessen emotionalen Gegenwinds, seinen moralischen Überzeugungen treu. Auch er ist sich seiner Verantwortung bewusst und stellt dem Publikum in einem Monolog an der Seite Gurions die Frage: „Wer kann die Last tragen?“

Joshua Sobols Stück gleicht einem Politthriller, der anspruchsvoll und spannend bis zur letzten Szene den Zuschauer fordert und ohne Schönung die damalige Lage und die deutsch-israelische Beziehung veranschaulicht. Eingebettet in eine Familiengeschichte werden kritische Themen wie die Negev-Wüste und das immer noch vorhandene nationalsozialistische Denken vieler Deutscher der Nachkriegszeit angesprochen. Emotionalität und kontrastierende Argumente finden in Sobols Theater ebenso Platz, wie der ein oder andere Witz.

Dank Regisseur Ulf Dietrich wird die Rahmengeschichte vom historischen Geschehen hervorragend abgetrennt, ohne dabei die Verbindung zur Gegenwart zu verlieren. Mit Bühnenbildner Jan Karlsson ist ihm ein geniales Schauplatzarrangement gelungen, welches die nötigen Stimmungen erzeugt und durch technische Hilfsmittel das Motiv der „Sprache“ und „Miteinander-Kommunizieren“ gekonnt in Szene setzt. Abwechslungsreich werden die Schauspieler an unterschiedlichsten Orten im Theater selbst platziert, so auch auf dem Zuschauerbalkon. So zieht die Inszenierung das Publikum mitten ins Geschehen und hinterlässt nach der Aufführung Fragen, die jeder für sich beantworten muss. Die Beziehung zwischen Deutschland und Israel ist eben immer noch hoch aktuell.

 

Text: Charlotte Appenzeller

Bilder: Altes Schauspielhaus Stuttgart