Der Fliegende Holländer – Moderne Adaption von Wagners romantischen Klassiker

Gastspiel des Theaters und Orchesters Heidelberg im Stadttheater Heilbronn

17. Oktober 2016

Die Oper »Der Fliegende Holländer« von Richard Wagner, rund um den vom Satan verdammten Seemann, der ruhelos auf alle Ewigkeit die Sieben Weltmeere mit seiner Crew durchstreift, ist ein zeitloser Klassiker und ein Muss für jeden Opernliebhaber. Wagner, zweifellos durch jene Sagengestalt instigiert, die bereits literarische Größen wie Heinrich Heine in den Bann zog, konzipierte sein Werk in drei Aufzügen mit kongenialen Kompositionen. Es ist die Geschichte, die von jenem leidgeprüften Kapitän handelt, der lediglich alle sieben Jahre einen Hafen ansteuern kann um dort ein treues Frauenzimmer zu finden, das ihm die langersehnte Erlösung bringen kann.

Die bereits für den arrivierten Theaterpreis »Der Faust« nominierte Regisseurin Lydia Steier verlegt ihre Inszenierung in eine Ausbildungsfregatte der Amerikanischen Militärstreitkräfte und entscheidet sich somit für eine moderne Adaption. Hierdurch kommt die für Wagner so bedeutende romantische Komponente eindeutig zu kurz.

Die Mannschaft des Kapitäns Daland als kriegsbegeisterte, pathetische Kadetten einer Militärakademie. Daland (Wilfried Staber) selbst als Personifikation des Kapitalismus. Die Damen als Antrieb der Kriegsmaschinerie, als Werkzeug der Mobilmachung, bauen Raketen, während sie versonnen ihre Gedanken auf die Ankunft ihrer jungen Männer richten – ein absurdes Bild, die Opfer der Agitation. Ein Steuermann (Namwon Huh) als linientreuer Soldat, der eigene Gefühle und Bedürfnisse der militärischen Doktrin unterordnet und somit zum Gespött seiner Kameraden wird.

Dalands Tochter Senta (Katrin Adel) als treuherziges, pazifistisches, nach Selbstbestimmung und Freiheit strebendes Weibsbild. Aus dem Fliegenden Holländer wird ein leidgeprüfter Veteran, ausgezehrt von zahlreichen Schlachten und Kämpfen, gezeichnet, beinahe ein Invalide, der lediglich nach treuer Liebe und der ewigen Ruhe strebt. Erik, der ebenso wie der namensgebende Titelheld um Sentas Liebe buhlt, als intelligenter Außenseiter mit wenig Interesse am Kriegsgeschehen.

Lydia Steier provoziert das Publikum und schafft starke Momente. Der gezielte Einsatz von Videomitschnitten (Christoph Schödel) der US Navy aus dem zweiten Weltkrieg, schwärmerische Nahaufnahmen der Hauptprotagonisten und die unermüdlich schwappende Brandung der See erweitern die Inszenierung um eine zweite Ebene. Die Kostüme der Soldaten und Arbeiterinnen, welche von Gianluca Falaschi kreiert wurden, orientieren sich an egalisierten Uniformen, erhalten jedoch durch den farbigen Blau-Rot-Kontrast eine bunte einprägsame Note. Hingegen präsentieren sich der Holländer und seine Crew mit alten, zerschlissenen, divergierenden Marineuniformen aus dem Goldenen Zeitalter der Piraten und Masken untoter Kreaturen. Dieses Stilmittel bezeugt das ebenjene Figuren schon äonenlang auf den Meeren herumspuken müssen.

Das Bühnenbild (Susanne Gschwender) gleicht einer Lehrstube a lá Uncle Sam. Beim abschließenden Gelage und dem Auftreten der untoten Besatzung des Holländers, zerbröselt die sauber getünchte Fassade des propagierten Heldentums und das wahre Antlitz des Weltenbrandes, des Krieges, offenbart sich.

Darstellerisch und inszenatorisch beginnt der Opernabend bedauerlicherweise mit angezogener Handbremse. Die Emotionen der Soldaten (Chor und Extrachor des Theaters und Orchesters Heidelberg) wirken zunächst gekünstelt und albern-unauthentisch. Einen Ausgleich hierzu schafft das von Beginn an souverän aufspielende Orchester unter der Leitung von Elias Grandy und Dietger Holm. Mal sanftmütig schwebend, mal aufbrausend wie die Wogen des Meeres wird Wagner Partitur bildhaft lebendig. Der Funke des Orchesters springt ab Mitte des zweiten Aktes auf die Bühnenakteure über und wer sich nun auf Steiers Inszenierung einlässt, kann den »Holländer« in einem neuen und durchaus stimmigen Gewand erleben.

Sängerisch gelingt es den leittragenden Protagonisten und dem Chor über weite Strecken zu überzeugen. Allen voran gilt es jedoch den »Fliegenden Holländer« (James Homann) sängerisch und darstellerisch hervorzuheben, der es schafft die Stimme mit dem Schauspiel so zu kombinieren, dass es stets genuine wirkt. Sein Bariton strotzt vor Stolz und Erfahrung, zeigt stellenweise aber auch Zerbrechlichkeit, Angst und Verzweiflung. Tenor Alexander Geller als Erik ist stets präsent und brilliert mit emotionaler Dynamik.

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Letztendlich muss man konstatieren, dass es der Inszenierung zu Gute kommt, das sie nicht konsequent die moderne Linie fährt, sondern vereinzelt auch klassische Elemente, insbesondere vertreten durch den Holländer und seine Mannschaft, miteinbezieht. Nach zweieinhalb Stunden Spielzeit applaudiert das Heilbronner Publikum fragwürdiger Weise unentschlossen, war es doch eine solide überzeugende Leistung des Gastspiels.

 

Text: Philipp Wolpert und Tobias Frühauf

Bildrechte: Theater Heilbronn