After Theatre Tea: Der Besuch der alten Dame in Heilbronn

Der Vorhang ist gefallen. Franziska und Amina sitzen im Theaterrestaurant Gaumenspiel. Zu trinken haben sie bisher noch nicht. Über das Stück reden lässt sich allerdings auch ohne Tee.

AMINA: Shall we begin? Was ist dein letzter Eindruck mit dem du da jetzt rausgegangen bist?

FRANZISKA: War ok.

AMINA: War ok… Ja, war ok. Ich würde sogar sagen, war gut.

FRANZISKA: Ich würde sogar soweit gehen zu sagen es war sogar gelungen.

AMINA lacht: Ist das jetzt ein Battle wie wohlwollend wir sein können?

Vielleicht fangen wir einfach mal beim Bühnenbild an. Da fand ich ganz arg interessant, dass es eigentlich bis auf diese Konstruktion in der Mitte der Bühne kein Bühnenbild gab, also ansonsten hatten wir tatsächlich ne leere Bühne, man hat teilweise die Leute durch die Exits, die sie halt haben, rausgehen sehen, die in den nächsten Flur führen. Also, relativ kahl, bis auf diese großen Plastikplanen und die Stufen – aber ich fand es gut genutzt. Und es spart natürlich einiges an Umbaumaßnahen.

FRANZISKA: Absolut! Ich hab anfangs ewig überlegt, woran mich das denn eigentlich erinnert. Ich dachte mir „ok, Käfig, mit dem Argument kann ja jeder kommen“, weil es wirklich ein bisschen aussah, wie ein Käfig, jetzt mal von diesen Stufen abgesehen. Ich hab mich dann aber immer gefragt, was das für ein Bild ist und dann dacht ich mir „Jetzt hab ich’s! – Schlachtaus!“ Es sah aus wie ein Schlachthaus. Wegen diesen Vorhängen, wegen diesen Planen.csm_09-dame_besuch_41_heller_8574602c2c

AMINA: Tatsächlich. Und das ist mir vor allem am Ende gekommen. Da dacht ich, als diese Plane – ganz am Ende war sie ja golden – und als es sich dann nochmal gedreht hat und man war wieder im Goldenen Apostel quasi und es wurde abgestimmt, das sah das aus wie ‘ne Haut. Ich hatte da ‘ne ganz eklige Assoziation dazu. (Franziska bringt nonverbal ihre Zustimmung zum Ausdruck) Und da fand ich kam dieser Schlachthauscharakter nochmal ‘ne Spur stärker durch. Aber Schlachthaus, absolut, absolut! Was natürlich ein Konzept ist, das man sehr leicht mit Besuch der alten Dame verbinden kann.

FRANZISKA: Und auch vor allem, diese Art Geschmiere auf der Plane, die war ja nicht wirklich dreckig, aber sauber war sie auch nicht, die sah aus wie tausendmal gewaschen und man hat keine Kohle.

AMINA: Ich fand es sah ein bisschen aus wie so eine Malerplane. Daran hat es mich ein bisschen erinnert.

FRANZISKA: Ja, stimmt. Also, man hat auf jeden Fall gesehen, dass da immer wieder dieses Herz mit den Initialen draufgemalt wurde – das muss man ja irgendwie waschen – und man hat noch die Spuren von den anderen Vorstellungen drauf gesehen und das macht’s eigentlich ganz gut.

AMINA: Ja, passt einfach ganz gut zu diesem abgewracktem Bild, das man von Güllen hat. Also, das ist ja auch keine sonderlich hübsche Stadt. (lacht)

FRANZISKA: Also, ich mein: Grau – groundbreaking!

AMINA: Ja, Grau. Da haben wir uns ja vorhin schon ein bisschen drüber unterhalten. Scheint momentan generell ‘ne recht beliebte Sache zu sein im Theater, aber prinzipiell beim Besuch der alten Damen habe ich glaub ich noch nie eine Inszenierung gesehen oder von einer gehört, die sich nicht des Graus bedient.

FRANZISKA: Na gut, vielleicht macht man es auch wegen den Schuhen, weil die eben dieses strahlende Gelb haben. Das war ja ein recht penetrantes Geld, wie bei so einer Warnweste. Aber, was gut kommen würde, was man auch farbig machen könnte: sehr entsättigte Farben. Die einfach schon extrem Trist wirken, wie eine einzige, ungemütliche Erkältung. (Amina lacht). Und dann diese Knallerfarbe mit Claires Haaren.

AMINA: Mit Claires Haaren, aber auch mit ihren Kostümen.

FRANZISKA: Und mit den Schuhen.

AMINA: Wenn wir gerade bei den Kostümen sind: Was ich am Anfang ganz interessant fand, als die fünf Herren, die sich dann irgendwann als Herr Ill, der Bürgermeister, der Polizist, der Pfarrer und der Lehrer entpuppten, beim Bahnhof auf den Stufen saßen und auf den Zug gewartet haben, hat man eigentlich nicht großartig erkennen können, wer da jetzt wer ist – ich mein, natürlich, der Polizist war klar, aber er war trotzdem in Grau gekleidet, obwohl er Polizist ist, er war nicht in Grün oder in Blau gekleidet, wovon man eigentlich ausgehen würde… Klar, ein Pfarrer ist natürlich schwarz angezogen, das war hier jetzt auch so – aber ansonsten waren sie halt einfach irgendwie grau angezogen. Klar, der Bürgermeister ein bisschen schicker und so aber während sie saßen, konnte man noch keinen großen Unterschied erkennen. Und dann – ganz interessant – als Claire kam hatte sie ja erst ’nen weißen Mantel an

Eine Kellnerin kommt an den Tisch. Karten brauchen wir nicht, wir wollen schließlich nur was trinken. Franziska bestellt eine Cola Light, Amina tatsächlich einen Schwarztee.

FRANZISKA: Jetzt bekommen wir dann auch mal unsere Getränke

AMINA versucht ihren Gedanken weiter zu verfolgen, aber da kommt schon die nächste Unterbrechung: Alfred Ill – oder viel eher Tobias D. Weber – läuft am Tisch vorbei.

AMINA: Also ganz am Anfang, als Claire auftritt, trägt sie einen weißen – Achtung! Große Symbolik – einen weißen Pelzmantel. Aber, was ich ganz interessant fand (denn das war ein bisschen Off-White und sie hatte etwas Schwarzes drunter, das kann man csm_02-dame_besuch_77_ff51da9905so und so sehen): Bis auf diesen weißen Mantel, die einzigen Leute, die weiße Kostüme tragen, im ganzen Stück, sind die beiden Gangster aus New York, die in dieser Inszenierung nie vorgestellt werden, die tatsächlich nur kommen um einmal den Sarg zu tragen und dann die Kränze. Und die tragen weiß…

FRANZISKA: Aber die Tochter….

AMINA: Ah, ja stimmt, die Tochter trägt einmal Weiß – Ottilie

FRANZISKA: Das Tennis-Dress. Aber ich denke, das ist so, weil Tennis-Dresse normalerweise einfach weiß sind.
Die Getränke kommen. Ab jetzt ist es also wirklich ein After-Theatre-Tea.

AMINA: Ja, aber warum es mir aufgefallen ist, ist natürlich, dass die beiden im Stück bei Dürrenmatt – hier jetzt nicht so sehr – die einzigen sind, die von einem echten Gericht verurteilt wurden, nämlich die beiden Gangster aus Amerika – kam jetzt hier leider nicht drin vor, aber mir ist es eben aufgefallen: Die einzigen, die ‘ne Farbe tragen, die Reinheit symbolisiert, die einzigen, von denen mal die Justiz gesagt hat „Ihr seid schuldig wie die Nacht“, die tragen Weiß. Just on a sidenote.

AMINA: Gibt’s noch was von dir zu den Kostümen zu erzählen?

FRANZISKA: Das Outfit von Alfred hat mich gar nicht überrascht. Also, ich hab ja gesehen, was sie in Wien bei der Musicalversion für Kostüme hatten, das war auch sehr lumpenhaft, das hat wunderbar gepasst. Auch in der Verfilmung die ich gesehen hab, das war auch sehr graulich, die Klamotten von ihm, die sahen eigentlich aus wie die alten Arbeitskittel von meinem Opa. Also, das hat mich schon sehr an die Arbeiterklasse erinnert, das hat man da schon gesehen. – Was ganz cool war, waren diese völlig übertriebenen Kostüme von den Ehemännern.

AMINA: Ja, die waren halt wirklich auf diese Stereotypen angelegt.

FRANZISKA: Das war echt super. Vor allem dieser lila Anzug von dem Schauspieler-Gatten. Und dann dieses völlig bibliothekarenhafte Outfit vom Nobelpreisträger-Ehemann.

AMINA: Ja, also gerade die Ehemänner, die ja auch alle vom selben gespielt wurden, wie das ja auch meistens üblich ist, waren ihrem Typ entsprechend gekleidet und das war natürlich zum schießen! Gerade den ersten „mit seiner Fischleidenschaft“, den find ich ja immer besonders gut.

FRANZISKA: Diese Hosen! Diese Hosen!

AMINA: Beim Thema Kostüme fiel mir jetzt gerade auch im Zusammenhang mit den Ehegatten ein, dass viele Schauspieler auch mehrere Rollen übernommen haben. Und dann dieses Grau in den Kostümen und dass alles ein bisschen gleich ist und dann natürlich auch das mit den gelben Schuhen: Alle machen das selbe, alle kaufen sich neue Schuhe. Das wäre ja im echten Leben nicht so, wenn wir alle mit einem Geldsegen rechnen, würde ja jeder sich was anderes kaufen, wir würden ja nicht alle auf einmal gelbe Schuhe kaufen. Aber das zeigt eben dieses Kollektiv Güllen. Das sind keine Individuen, das ist eine Gruppe. Komplett. Ohne Charakter, eigentlich. Obwohl natürlich gerade der Lehrer da ein bisschen rausfällt. Aber gerade gegen Ende vermischt sich das immer mehr, einfach eine große Masse. Das zeigt sich eben auch, wenn so ein Pfarrer dann die erste Bürgerin spielt und da in Damenklamotten auf die Bühne kommt um sich Schokolade zu kaufen.

FRANZISKA: Generell immer ein sehr komödiantischer Effekt. Männer, die Frauen spielen.

AMINA: Ja, natürlich. Was auch ein komödiantischer Effekt war, der auch durch so ‘ne Doppelbesetzung ausgelöst wurde, war ganz am Anfang, als Claire mit dem Zug kommt und der Polizist – hier in dieser Inszenierung – sie zurechtweist wegen der Notbremse, die sie gezogen hat. Und das macht ja eigentlich der Zugführer, der ja nicht weiß wer sie ist, dem sie ja auch vollkommen egal ist. Und hier wurde da eben etwas sehr lustiges daraus, dass der Polizist, der ja durchaus Interesse an dieser Person hat, der Interesse daran hat, dass sie ihn mag oder dass sie Güllen mag, sie komplett anfährt in seinem ganzen Justiz- und Gerechtigkeitswahn und dann gar nicht merkt mit wem er da gerade spricht. Das zeigt eben, durch Doppelbesetzungen kann man auch komödiantische Effekte erzielen. Wobei – ich weiß nicht ob du mir da zustimmst – aber ich fand, dass das heute doch echt wenige waren, also komische Effekte.

FRANZISKA: Ja.

AMINA: Man hätte heute mehr lachen können.

FRANZISKA: Das stimmt, ja. Was ich allerdings gut fand, ich weiß nicht wie sie es gemacht haben, aber die beiden Eunuchen –

AMINA: Koby und Loby, ja, über die wollte ich auch noch reden.

FRANZISKA: Diese Stimmverzerrer. Ich hab die ganze Zeit überlegt, wer von den beiden redet denn jetzt gerade. Und, gut, man konnte natürlich sehen, wer macht jetzt den Mund auf… Aber trotzdem, es waren mehr Stimmen da als Personen und…

AMINA: Auch da wieder diese Entpersonifizierung eigentlich, wenn man das so nennen möchte. Also, auch wieder die beiden, die nur als Kollektiv auftreten, sogar ineinander verschmolzen, nämlich die Hände in den Taschen des jeweils anderen habend, also als eine Einheit agierend, also kein Individuum mehr seiend und dann durch die Stimmen und durch das gegenseitige Wiederholen, das dann nochmal wiederholt wird durch die Stimmverzerrer und zu einem großen Nebel an Laut wird – Ganz irre, auch da wieder.

FRANZISKA: Wenn wir schon grade von Lauten reden, wie fandst du die Musik?

AMINA: Die Musik? Das erste was man so richtig an Musik gehört hat war ja auch wieder bei der Ankunft Claires, als dieses Akkordeonorchester „ein schlichtes Volkslied“ anstimmt und es furchtbar, wirklich herrlich schief spielt.csm_dame_besuch_80_f0956cf068 Das fand ich grandios. Ansonsten, war es ja sehr – ich würde es jetzt nicht zwingenderweise Tango nennen – aber es ging ja in die Richtung, war eben typische Akkordeonmusik, die jetzt eben keine deutsche Akkordeonmusik ist, also mehr so südamerikanisch angehaucht. Ich fand sie teilweise passend, teilweise auch nicht. Aber es war ja durchgängig ein Lied, das war ja motivisch.

FRANZISKA: Es klang für mich ein bisschen nach Gruselkabinett.

AMINA: Ja! Mir ging es tatsächlich, als ich es das erste Mal gehört hab so, da hab ich mir dann auch aufgeschrieben „Tango, aber irgendwie düster, irgendwie gruselig“ und dann, je häufiger ich es gehört hatte, desto gewöhnter war ich dran. Aber am Anfang fand ich auch, dass das eine sehr düstere Stimmung erzeugt hat. Und auch dann am Ende im Konradsweilerwald, wo Claire und Ill ein letztes Mal aufeinandertreffen und sie ihn fragt, ob er Musik hören will und quasi sein Lieblingslied angespielt werden soll und dann auch wieder aus dem Off diese düstere Musik ertönt, da hat das auch wieder dieses Unheilvolle, weil es ja schon einen Ausblick auf Ills Ende gibt.

FRANZISKA: Für mich hat das, ich weiß nicht ob du das kennst, aber in Japan gibt es eine Band aus nicht-menschlichen Mitglieder quasi, die heißen Vocaloid

AMINA: Oh, ja, ich weiß was das ist.

FRANZISKA: Wo die Stimmen am Computer generiert werden. Und es gibt ein Lied von denen, das heißt „Alice Of Human Sacrifice“ und genauso hat sich das angehört.

AMINA: Ja, das kenn ich. Oh, ja stimmt

FRANZISKA summt ein bisschen die Melodie, um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. AMINA: Stimmt! Ich hab das Lied seit Jahren nicht mehr gehört. Jetzt wo du’s sagst. Und dieses Lied hat ja auch echt einen unglaublich düsteren Charakter.

FRANZISKA: Oh ja!

AMINA: Interessante Assoziation

FRANZISKA: Von den Schauspielern her, was ist deine Meinung?

AMINA: In der Pause hatten wir ja schon ein bisschen drüber gesprochen, vor allem über Claire, die ich teilweise – also ich muss sagen, ich hatte gemischte Gefühle für Claire. Ich fand sie teilweise wirklich, wirklich gut und teilweise so, dass sie mir persönlich nicht zugesagt hat. Aber das war wirklich mehr ‘ne persönliche Sache, da ich das Stück schon sehr lange kenne und mich auch ein bisschen intensiver damit auseinandergesetzt habe, hab ich natürlich in meinem Kopf eine sehr präzise Vorstellung einer Claire, die ich gerne auf der Bühne haben würde. Und das war sie halt nicht immer. Was ja nicht heißt, dass es schlecht ist, es war nur einfach teilweise sehr, sehr anders als das, was ich mir erhofft hatte.

FRANZISKA: Mich hat sie an eine verbitterte, alte Hexe erinnert, teilweise. Für mich stellt Claire einfach – ganz klar – eine Frau mittleren Alters dar

AMINA: Mittleren Alters? Die Frau ist 62!

FRANZISKA: Das ist für mich mittleren Alters.

AMINA: Wenn das die Mitte ist, dann wirst du 124!

Beide müssen lachen.

FRANZISKA: Wir können uns jetzt hier über persönliche Definitionen streiten, was wir aber nicht möchten…

AMINA: Ja, aber erzähl weiter.

FRANZISKA: Jedenfalls sollte Claire meiner Meinung nach eine bisschen würdevollere, elegantere, vom Verhalten her bisschen gemäßigtere und gleichzeitig heimtückischer Frau sein. Also für mich war sie zu abgedreht und zu quietschig.

AMINA: Bei mir war es anders. Ich habe mich sehr auf ihre Sprache konzentriert, also auf die Art und Weise wie sie mit dem Text umgegangen ist. Generell viele der Sätze, die Claire hat in Ellipsen geschrieben, in denen vor allem das Subjekt weggelassen wird, vorwiegend in Sätzen in denen sie über sich redet, was man natürlich auch auf ganz viele Art und Weisen interpretieren kann – das werde ich jetzt in diesem Moment hier mal lassen. Aber was sie daraus gemacht hat – also die Schauspielerin – war mir persönlich zu diktiermäßig. Es war alles sehr, sehr abgehackt, sehr, sehr mechanisch und bei Vielem was sie gesagt hat, hatte ich das Gefühl, sie diktiert das vielleicht sogar durch ‘ne Tür hinweg ihrer Sekretärin. Und es war emotionslos. Und zwar nicht auf eine Art und Weise, die ich für Claire richtig halte; weil Claire zwar sehr abgebrüht ist, durchaus auch ihre Emotionen hinter sich gelassen hat in ihrem Leben, weil sie das musste, weil es anders gar nicht ging, aber innerlich ja trotzdem noch was in ihr lebt – sonst würde sie ja überhaupt nicht nach Güllen fahren und diesen Mord verlangen. Wenn alles in ihr tot wäre, dann wär’ sie gar nicht da. Und deswegen war mir diecsm_05-dame_besuch_24_0e6c1b56fb
Sprache teilweise zu tot. Was sie allerdings gemacht hat, war, gerade in den Momenten in denen sich Claire zurückerinnert, ist sie ein bisschen weicher geworden, ein bisschen wärmer. Ganz am Ende auch, in der Szene im Konradsweilerwald wieder, als sie das letzte Mal mit Ill zusammen ist, wurde es nuancenhaft immer wärmer, allerdings nie warm. (lacht) War mir aber teilweise zu wenig. Also, ich hätte gern mehr Brüche im Charakter gehabt. Für mich war Claire hier ganz klar die stoische Statue, die dasteht als Racheengel über Allem und nichts an sich herankommen lässt. Und das finde ich schade! Anders kann man es nicht sagen: Ich finde es schade, weil ich glaube, dass man mit dem, dass man ein bisschen mehr in den Charakter reingucken kann, viel herausholen kann für eine Inszenierung. Und das hat mir tatsächlich gefehlt. Das war glaub ich mein größtes Problem mit Claire.

FRANZISKA: Ja.

AMINA: Ansonsten: Gut gemacht, gut besetzt, meiner Meinung nach – also auch die Claire! – aber für mich eben nicht komplett ausgeschöpft, diese Ansätze, die sie in der Figur hatte.

FRANZISKA: Was ich allerdings bei ihr sehr gut fand, vor allem als sie da an diesem Tisch saßen, und sie erst mal gesagt hat, dass sie vor hat eine Milliarde zu spenden und so weiter, und sie sich quasi das alles angehört hat, was dann ihr Butler vorgetragen hat – und sie saß ja einfach nur da, sie hat anfangs ja nach unten geschaut und dann hat sie irgendwann nur noch geradeaus geguckt. Und als auch der Bürgermeister gesagt hat, das können wir nicht machen und so weiter und so fort, sie hatte dieses kleine Lächeln – das war so ein richtiges, das war kein Resting Bitchface, aber es war so ein bisschen „I’m gonna kill you later!“

AMINA: Es war dieses Wissende. Dieses „Ich weiß genau was passieren wird!“

FRANZISKA: Dieses Wissende. Ein sehr süffisantes Lächeln, so „wir werden sehen…“

AMINA: Ja und es ist ja auch dieser Satz, den sie in dieser Szene hat, also einer ihrer Sätze, die sie dort hat, ist „Man kann alles kaufen“, nachdem der Bürgermeister sagt „Aber die Gerechtigkeit kann man doch nicht kaufen!“ nimmt sie eigentlich alles was noch passieren wird vorweg, indem sie sagt „Man kann alles kaufen“. Und sie weiß, dass es funktionieren wird. Sie ist sich in dem Moment sicher. Und es entsteht ja auch dieser kleine Gerichtsprozess in dieser Szene im Goldenen Apostel. Und da ist sie auch wieder sehr statisch gewesen. Also, sie hat sich ja auch überhaupt nicht bewegt. Sie stand wie versteinert da und hatte auch eine versteinerte Sprache. Mir persönlich in dem Moment – vor allem im Hinblick drauf, dass es sich im Verlauf des Stückes nicht mehr sonderlich gewandelt hat – vielleicht zu viel, aber trotzdem passend.

Man schweift leicht vom Thema ab, trinkt Tee und besinnt sich dann wieder:

AMINA: Mir ist jetzt gerade noch etwas eingefallen: Die Sache mit den Bäumen: I in der ersten Konradsweielrwald-Szene hatten wir dieses „Wir sind Fichten, Föhren, Buchen…“, als dann auch wieder der Polizist, der Pfarrer und so weiter den Wald gespielt haben mit diesem unglaublichen Ausdruckstanz im Hintergrund. Immer so „uuuh – ich bin ein Baum!“ Das fand ich super!

FRANZISKA: Das sollte ein Baum sein?!

AMINA: Ja, natürlich. Deswegen sagen sie ja „wir sind Fichten, Föhren, Buchen“

FRANZISKA: Aaaah! Bei Franziska fällt der Groschen. Beide lachen.

AMINA: Das fand ich wirklich gut gemacht. Das war einer der Momente, der das Stück aufgelockert hat. Von denen gab es meiner Meinung nach zu wenig.

FRANZISKA: Das stimmt. Es hat sich meiner Meinung nach auch ein bisschen gezogen.

AMINA: Ja, das fand ich gar nicht mal so…

FRANZISKA: Es hatte immer quasi den gleichen Tonfall.

AMINA: Das stimmt! Es hatte immer den gleichen Tonfall.

FRANZISKA: Und es gab keine richtige Höhe, keine Richtige Tiefe.

AMINA: Und was ich auch fand, dieser Mord, dieses Damoklesschwert, dieser drohende Mord im Hintergrund, der schwebte von Anfang an schon ein bisschen zu hart über Güllen. Also, mir haben ein bisschen die Momente der Auflockerung gefehlt, in denen man sich vielleicht – ich mein, man weiß natürlich wie’s ausgeht – aber, in denen man sich trotzdem fragt, wie diese Güllener eigentlich so drauf sind. Das fand ich ein bisschen schade.csm_08-dame_besuch_39_9a8e249f64

FRANZISKA: Dieser hyperaktive Reporter sollte vielleicht für Auflockerung sorgen, aber für mich hat das nicht funktioniert.

AMINA: Den fand ich aber im Kontrast zu den anderen Figuren einfach nur überzogen.

FRANZISKA: Klar. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich was Gutes zum Stück beigetragen hat.

AMINA: Er ist halt drin…

FRANZISKA: Er ist halt drin. Ja. Aber so wie er dargestellt wird, also dieses total überzogene, total hyperaktiv, das kann man so oder so sehen.

AMINA: Ich glaube auch, dass das ein Versuch war es nochmal gegen Ende aufzulockern, der aber nicht funktioniert hat meiner Meinung nach.

FRANZISKA: Man hätte allein schon mit dem Licht ganz viel machen können. Wenn man zum Beispiel bei dem Richterspruch am Schluss das Licht nur auf den Bürgermeister, den Lehrer und so weiter und so fort gerichtet hätte und quasi die Akkordeonkappelle komplett im Dunkeln lässt – im wahrsten Sinne des Wortes – das hätte ‘ne ganz andere Atmosphäre erzeugt.

AMINA: Das stimmt. Das Licht war auch eine Sache, die gleichbleibend war.

FRANZISKA: Ich persönlich habe erwartet, dass es total Nacht wird und nach ein paar Sekunden das Licht wieder angeht und dann Ill auf dem Boden liegt.

AMINA: Das war ja ähnlich. Sie haben das eben mit diesem Vorhang gemacht, der zugezogen wurde, dann wieder auf – eben auch ‘ne Abschottung – und dann war er tot. Was ich wirklich erwartet habe, war dieser Bruch der vierten Wand in dem Moment in dem die Abstimmung stattfindet.

FRANZISKA: Es gab ja, wie du gesagt hast, diesen einen Typ, der ja im Publikum mitabgestimmt hat.

AMINA: Als der Bürgermeister anfängt zu erzählen, was beschlossen wurde, also diese „Stiftung“ und mit dem Geld und für die Gerechtigkeit und haste-nicht-geseh’n, hat eine Person im Publikum geklatscht. Aber auch nur einmal! Das hat sich diese Person nicht nochmal getraut. Bei der Rede des Lehrers war das Publikum komplett unbeteiligt. Und dann eben bei der Abstimmung, die ja hier zweimal abgehalten wurde, hat zweimal sehr bestimmend eine Person im Publikum die Hand nach oben gehalten, was ich schön fand – aber ich hätte mir erhofft, dass diese Szene so gespielt wird, dass mehr Interaktion vom Publikum verlangt wird. Also, dass man sich vielleicht auf seinem Stuhl in dem Moment unwohl fühlt. Ich hab mich in dem Moment wohlgefühlt. Ich hatte in dem Moment das Gefühl, dass das, was da passiert, mit mir nichts zu tun hat. Und das fand ich schade. Ich hätte gerne das Gefühl gehabt, der spricht mich an und ich bin hier dafür verantwortlich, wie das ausgeht.

FRANZISKA: Vielleicht war heute auch einfach nur das falsche Publikum im Saal, das könnte auch sein.

AMINA: Möglich.

FRANZISKA: Es saßen unglaublich viele Schüler im Publikum. Und Schüler sind ein unglaublich schwieriges Publikum, weil sie haben zu 90% keinen Bock hier zu sein

AMINA: Ja, also es ist möglich, dass die Interaktion deswegen nicht so gut war, aber trotzdem – ich mein, ich bin kein Schüler, ich bin Theatergänger und ich hab mich wohlgefühlt auf meinem Platz. Ich hatte nicht das Gefühl meine Hand heben zu müssen. Ich hatte nicht das Gefühl mich beteiligen zu müssen.

FRANZISKA: Und ich denke, wenn man nur das Licht gedimmt hätte, quasi die Bühne noch sichtbar lässt, aber einfach eine Art Lichtkegel auf den Sprechenden richtet…

AMINA: Oder andersrum: Das Saallicht ein bisschen hochfahren, so dass die Leute das Gefühl haben, sie sind dabei.

FRANZISKA: Oder so.

AMINA: Wie gesagt, ich hab mir in dem Moment mehr Interaktion gewünscht zwischen Publikum und Bühne. Ich bin dem einen Herrn sehr dankbar und der einen Dame, die geklatscht hat, aber ich hätte mir gewünscht, dass ich auch das Gefühl gehabt hätte, das tun zu müssen.

Aber ich glaube es wäre jetzt Zeit für abschließende Worte und dann für den Heimweg. Ich muss sagen, es hat mir gut gefallen, es, wie gesagt, ich fand es gut, ich fand es leider nicht sehr gut. Ich fand viele Dinge unglaublich gut umgesetzt, eine Sache, die ich wahnsinnig schön fand, war eben dieses Güllener Kollektiv, dass eben Güllen nicht als einzelne Individuen agiert, sondern alles irgendwie gruppenmäßig ist, aber mir hat bei Clair ein bisschen was gefehlt. Ansonsten fand ich es wirklich gut. Mir hat auch persönlich das Bühnenbild gut gefallen, diese düstere Schlachthausatmosphäre zusammen mit der kratzigen Akkordeonmusik war glaub ich passend, hat aber auch dazu beigetragen, dass es in dem Fall mehr Tragödie, als Komödie war, obwohl es ja beides sein soll, laut Dürrenmatt. Dein letztes Wort?

FRANZISKA: Mein Fazit zu der Produktion hier: Kann man gesehen haben, muss man nicht. Wenn man sich für das Stück interessiert, in erster Linie: lies es, in zweiter Linie: such dir ein Theater deines Vertrauens, lies dir keine Kritiken vorher durch und schau es dir an, von mir aus auch hier im Theater Heilbronn.

AMINA: Also, ich würde durchaus raten, es hier anzuschauen. Es ist ja gut.

FRANZISKA: Man kann es auf jeden Fall empfehlen, ja.

AMINA: Also ich finde man kann es sich hier durchaus anschauen. Aber man sollte sich vielleicht noch was anderes angucken. Wie gesagt, ich fand es gut, wenn auch nicht sehr gut, aber ich bin froh, dass ich es gesehen habe.

FRANZISKA: Kann man gesehen haben, muss man nicht unbedingt. Es ist allerdings doch ‘ne nette Beschäftigung für einen Abend.

AMINA: Und es ist gut gemacht. Es ist ein Abend schönes Theater.

FRANZISKA: Es ist gut gemacht, das kann man nicht leugnen.

AMINA: Kann man nicht leugnen, ein Abend wirklich schönes Theater. Wenn man Zeit hat, gerne angucken. Dürrenmatt ist immer zu empfehlen.

FRANZISKA: Eben. Und es bereitet einem schlaflose Nächte, wenn man danach sein Leben nochmal überdenkt.

Im Gespräch: Franziska Fezer und Amina Gall
Transkription: Amina Gall
Bilder: Theater Heilbronn