Fräulein Else

Mit „Fräulein Else“ nach Arthur Schnitzlers Novelle gab Wolfgang Michalek sein Regiedebüt in Stuttgart. In der einstündigen Vorstellung im Nord hagelt es rote Schuhe und gleich drei Elses.

Es geht um Geld, um Machtdemonstration und das Wesen der Frau. Im Kern hangelt sich Regisseur Wolfgang Michalek an Schnitzlers Vorlage entlang: ein Fräulein, das die Verhaftung ihres Vaters abwenden kann/will/soll, indem es der Forderung des Grafen Dorsday (Mark Ortel) nachkommt und sich ihm nackt zeigt. Soweit die Textvorlage – der Inhalt bleibt derselbe, doch die zeitliche Schiene verrückt: Else blickt auf damals zurück, als sie 19 war. Vor 34 Jahren.

Eine Rückblende: Den Lebensmut hat sie verloren, möchte aussteigen aus dem Jetzt und aufsteigen in die Welt des Veronal, ihrem Schlafmittel. In ihrer Wohnung, bestückt mit einem Canapé, sucht sie in allen Winkeln und Schlupfwinkeln nach den Tütchen Veronal, die nur darauf warten, ihre Verwendung zu finden.
Eine starke Einstiegsszene, die dem Fräulein Else Konturen gibt: die einer suchenden Frau, die sich jederzeit den Tod als Hintertürchen bereithält. Und die immer noch damit zu kämpfen hat, was ihr im Alter von 19 Jahren widerfahren ist – wie sie damals ihren Körper unter Druck gesetzt sah.

Sie ringt mit sich selbst, ihrem Körper und den Forderungen, die an sie gestellt wurden; und auch die Gestalten ihrer Vergangenheit bleiben nicht aus. Aufgeteilt auf drei Fräulein Elses ist der Monolog, die beiden jüngeren (Susanne Schieffer und Viktoria Miknevich) keinem bestimmten Alter zugeordnet. Plausibel jedoch, dass diese beiden zwei vorangegangene Altersstufen verkörpern, mit weniger Lebenserfahrung und naiven Schlüssen.

Mit einer matt beschichteten Fotografie statt Hochglanz lässt sich dieses Stück vielleicht am besten vergleichen, melancholisch, rau und sanft, matt eben. Rau dahingehend, dass es seinen Zeigefinger auf absurde Vorstellungen der Gesellschaft legt, wie ein Körper auszusehen hat, ebenso wie dass die Jung-Elses versuchen, Fräulein Else unter Toben in eine Korsage zu garnen; in ein vorgefertigtes Bild zu zwängen, realitätsfern.
Eine nennenswerte, sanfte Passage, ist die im Meer von roten Schuhen: Wie ferngesteuert werfen die beiden jungen Fräulein Elses Schuhe um sich, verteilen sie auf dem Teppich, von weitem wirkt es wie eine Blutlache; die Lache aus vergangenen Ereignissen. Sie gräbt zusammengehörige Paare aus und erzählt deren Geschichte, weinrote Lackschuhe, scharlachrote Pumps, fuchsrote Riemchensandalen. Eine intime Szene, die der Else zerbrechliche Konturen verleiht.

Rahel Ohm als lebensmüdes Fräulein Else kehrt der Welt den Rücken zu, mal mit ausladenden Gesten und Wut, die sie übermannt; mal ganz klein, minimalistisch, mit zittriger Stimme. Ihr intensives Spiel erreicht den Zuschauer ungebremst, man kann zwar den Blick abwenden, die Ohren zuhalten, doch es ist schwer möglich, sich der Spannung im Raum zu entziehen.

Text: Leah Wewoda
Bildrechte: Julian Marbach