GIRLS BOYS LOVE CASH

Eine Kooperation zwischen dem Citizen.KANE.Kollektiv und dem JES (Junges Ensemble Stuttgart).

20. April 2017// Junges Ensemble Stuttgart

Zu Beginn, Separation, zwei Gegensatzpaare, unvereinbar voneinander getrennt – Mann und Frau. Sie stinken, sie sind schön, sie sind hormongesteuert, sie sind uns unterlegen – sagen die Einen über die Anderen. Eine Frage steht im Raum: »150,-€. Was machst du damit? Ist ja schließlich eine Menge Geld in deiner Tasche«.
Dieser Frage muss sich Jonas stellen, Jonas, einer aus der Menschenmasse, ein Jugendlicher, ein exemplarisches Beispiel.

Geld ist die Währung, das Substrat eines perversen Systems.
Geldscheine schweben durch die Lüfte, die Frage steht aufdringlich im Raum – ein Damoklesschwert. Wie weit geht man für Geld, was ist die Schmerzgrenze, was ist die Summe, kann man es rechtfertigen, den menschlichen Körper für Geld anzubiedern, die Intimsphäre aufzuweichen? Die Antwort ist einfach, ja, man kann, die Antwort ist Prostitution, denn Prostitution ist gut für das Geld, aber schlecht für den Kopf.

Im Nachfolgenden erfährt man vieles über eine ominöse Schattengesellschaft und deren Mitglieder, die mitten unter uns verweilen und in allen sozialen Milieus vertreten sind. Szenen werden collagenartig aneinandergereiht und beleuchten die skrupellosen Praktiken im Geschäft mit dem menschlichen Körper, Vergütungssysteme, Besteuerungssätze und die enorme psychische Belastung, mit der die menschliche Ware tagtäglich leben muss.
Bei der ästhetischen Umsetzung greift das Kollektiv auf zahlreiche performative Elemente zurück, die die eigentliche Sprache, neben den Videoeinspielungen und dem interaktiven Spiel mit dem Publikum, ergänzen.
Weiterhin muss man hervorheben, dass es dem Team auf der Bühne um Jonas Bolle, Jürgen Kärcher, Sarah Kempin, Simon Kubat, Andrea Leonetti, Franziska Schmitz und Emanuela Staicut gelungen ist, einer vielfach beachteten und cineastisch aufbereiteten Thematik, neue und unbekannte Aspekte zu entlocken, die die Zuschauer ausnahmslos fesseln und bewegen.
Die gelungene Aufbereitung des Stoffes und die fundierten Kenntnisse zum Thema Prostitution lassen sich mit der zweijährigen Recherchearbeit des Kollektivs begründen, das unter anderem zahlreiche Interviews mit Betroffenen 
durchgeführt, Etablissements im Rotlichtviertel aufgesucht und eine Exkursion nach Rumänien unternommen hat.

Die Eindringlichkeit des Projektes ermöglicht eine Selbstreflexion der Zuschauer, ohne dass die Bühnenakteure anklagend den Zeigefinger und die Moralkeule auf die Zuschauerränge richten.
Als Kritikpunkt kann man am Ende lediglich bemängeln, dass das Augenmerk weitestgehend auf den weiblichen Prostituierten liegt, die zwar bei weitem die Mehrheit dieses Gewerbes ausmachen, dennoch wäre es interessant, mehr über die männlichen Schicksale zu erfahren, die zu dieser Arbeit gedrängt sind.

Das Kreativteam hat einen kurzweiligen, bewegenden Abend ermöglicht, und eine Sensibilisierung mit in vielerlei Augen verpönten Frauen, die in der Realität Opfer einer kaputten Gesellschaft sind. Hierzu präsentieren sie ein äußerst stimmiges Bühnenbild. Die starken Performer zeigen eine starke Leistung, agieren auf Augenhöhe mit der anwesenden Gesellschaft und verkörpern glaubhaft den kollektivistischen Leitgedanken.

Ein versöhnliches Ende, spendet bei den Anwesenden Hoffnung nach den Schreckensszenarien und deklariert, dass Frauen und Männer Menschen sind und als diese unmittelbar zusammengehören und das gleiche Schicksal teilen. Jegliche Form des Sexualakts beruht ursprünglich auf der gegenseitigen Liebe zueinander und ist daher auch etwas Schönes, das Wunder des Lebens.
Eine Utopie, die WIR gemeinsam in die Realität umsetzen können.

Text: Tobias Frühauf und Leah Wewoda