Der Schaum der Tage [L’écume des jours]

Wiederaufnahme, 14. Juli 2017

Jazz, Duke Ellington und ein gewisser Jean-Sol Patre, ein zahmes Hausmäuschen, der Heiland höchstpersönlich, Drinks serviert aus einem Pianococktail, ein lugender Aal, der sich in der Wasserleitung heimisch fühlt und eine Vorliebe für Ananas hat und, was auch sonst, immer wieder Jazz.

Eine Geschichte, eine Ode ans Leben, die Nihilismus propagiert und ebenso Kriege, Kapitalismus und das perverse Treiben der Medien verurteilt, ohne hierbei den Charme zu verlieren.
Die obskure Rarität »Der Schaum der Tage« ist eine zarte Perle der Weltliteratur und behandelt das Leben des jungen Colins, der ein dekadentes, sorgenfreies Leben, unbehelligt vom Leid der Welt führt. Als er Chloé kennenlernt, verlieben die Beiden sich unsterblich ineinander, doch das Glück ist von kurzer Dauer, denn die schönen Momente, währen wie das Leben an sich, nur einen Wimpernschlag, sie vergehen wie der Schaum auf den Wellen, die Gischt im nassen Schlick.

Chloé erkrankt, eine Seerose wuchert und gedeiht in ihren Lungenflügeln und zehrt an ihren Lebenskräften. Selbstlos opfert sich Colin für seine große Liebe auf, doch er kann die Tragik des Lebens nicht aufhalten, die Tragik des Schicksals, die sie alle einholt.
Viel Mut gehört dazu, wenn man Boris Vians surreale Liebesgeschichte »Der Schaum der Tage« auf die Bühne bringen möchte. Noch mehr Mut erfordert es allerdings, wenn man die vergessene, gleichnamige Opernfassung von dem russischen Komponisten Edison Denisov spielt.

Allein dieses Wagnis unterstreicht ein weiteres Mal das Weltklasse-Renommee des Stuttgarter Opernhauses unter der Leitung des scheidenden Intendanten Jossi Wieler.
Die anspruchsvolle, avantgardistische Partitur stellt nicht nur eine musikalische Hürde dar, denn die poetische Handlung erfordert auch reichlich inszenatorische Kreativität.
Denisovs rundes Libretto abstrahiert den Roman auf wesentliche Passagen, ohne der Handlung die Leichtigkeit und Magie zu stehlen.
Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Sylvain Cambreling spielt makellos und meistert die spinöse Klangwelt, die Einflüsse aus Jazz, sakraler Musik und musicalnahen Choreinlagen vereint.

Die kurzweilige Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito reiht dynamisch Szene für Szene aneinander und fokussiert eine Personenregie.
Viele, die in den Genuss von Boris Vians Kultbuch gekommen sind, könnten allerdings den anfänglichen Hedonismus und die Leichtigkeit jener surrealen, absurd anmutenden Bilderwelt, bei den Einführungssequenzen in Colins fantastische Welt, vermissen. Hier fehlt der Inszenierung zuweilen die Liebe zum Detail und die Kreativität, doch das hervorragend agierende Ensemble, mit seinen starken Solisten und den in Stuttgart gewohnt auftrumpfenden Chorleistungen besticht mit seinem hohen Niveau der Stimmen und Mimen.

Bassbariton Arnaud Richard als Koch Nicolas begeistert nicht nur gesanglich sondern durch starke Rollenarbeit. Insbesondere die lässigen, charmanten Gesten sind es, die der Inszenierung hier und da fehlen, die er allerdings der Rolle verleiht. Der britische Tenor Ed Lyon als Colin spielt glaubhaft die Fallhöhe seiner Figur. Dass man Oper und Schauspiel gekonnt vereinen kann und dies andere darstellerische Reize schafft, beweisen der Schauspieler Sébastien Dutrieux als Maus und Manja Kuhl vom Schauspiel Stuttgart als Katze. Dutrieux ist überwiegend ein stiller Beobachter des Bühnengeschehens, doch er begleitet den tragischen Weg der Protagonisten als emotionale Instanz. Präzise und filigran im Habitus und Gestus ist er zentraler Punkt und roter Faden der Inszenierung und des Figurennetzwerkes. Sein Spiel macht heiter, traurig und depressiv zugleich – eine Glanzleistung und die Seele der Inszenierung.
Schaum der Tage“ ist ein gewagter Opernabend, in einer Oper die sich auch 2017 als Opernhaus des Jahres bezeichnen könnte.

Text: Tobias Frühauf und Philipp Wolpert
Bildrechte: A.T. Schäfer