Das Fehlen von Losigkeit

Laut wird es auf der Bühne werden. Laut für Auge und Ohr. Noch sitze Ich still im Monitor eines Fernsehers, bzw. auf der Tribüne, die schnell zum Fernsehgerät interpretiert wurde. Vor mir ein eine simple Coach. Nichts aufregendes entdecke ich.

Der Blick fällt auf verlaufene Fußballtrophäen, die maliziös auf einer antiquierten Kommode platziert wurden. Nicht sehr überzeugend. Ich gebe mir einen Ruck. Theater ist nicht ein Ort der mittelmäßigen Unterhaltung, der Wert liegt im Inhalt, zwischen den Zeilen.

Anscheinend ahmt der auf der Coach sitzende Protagonist meine tendenziell gelangweilte Mimik nach. Im blauen Sweater und schwarzen Adidashose ähnelt er stark meinem Sonntagsgammeln-Ich. Verdutzt blicke ich weiter umher und bleibe bei einer in schwarz gekleideten, grinsenden Frau hängen. Mit eleganter Armhaltung unterstreicht Sie ihre natürlich stark auftretenden Präsenz, sie greift förmlich in den Raum.

Störtebekers Sohn ist also ein Zweimann/frau Werk im Landestheater Tübingen, denke ich mir. Das kann was werden…

5061b8f3242b1_453x…und was das wurde! Lachend sitze ich da und bin begeistert von den kreischend Kiddis in der ersten Reihe, die grölend nach mehr Süßem von dem auf der Bühne umherspringenden Schauspieler, Henry Braun, bitten. Zurück geworfen in den Kindergarten, amüsiert sich das bunte Publikum an der witzig verspielten Darstellung eines kleinen Jungen der begeistert von der Geschichte des mutigen Piraten Störtebeker erzählt. Rasante Wechsel zwischen Erzählung in Erzählung und das Durchbrechen der dritten Mauer mit Süßigkeiten, bietet allen Beiwohnern eine nette Unterhaltung. Besonders Rita Mohlau, die zuvor beschriebene Frau, glänzt in Ihrer Performance der integrierenden Spracherweiterung. Denn das überragende Schauspiel sticht mit einer intelligenten Zusammensetzung von professioneller Gebärdensprache mit „normaler“ Theatersprache. Der Maestro dieser Komposition ist niemand anders als Felix Schmidt, der unter anderem das Projekt Kultur für alle Sprachen gegründet und organisiert hat. Er ist ein Mensch, der ein klares Ziel vor Augen hat: Die Verbindung und Integrierung der unterschiedlichsten Menschen an einem Ort, sie für eine Leidenschaft zu begeistern und Fremdhaftigkeit, Schritt für Schritt abzubauen. Hier geht es um den Abbau von Barrieren, die wir sooft in unserem Alltag vorfinden. Ob es nun die Sprachfähigkeit betrifft oder auch die finanziellen Möglichkeiten, die nicht jedem zur Verfügung stehen: Hier ist jeder willkommen. Wie auch heute. Natürlich handelt es sich nicht um ein Megaevent, aber das sollte es auch nicht sein. Schon bald wird klar das dieser Junge auf der Bühne, enttäuscht von seinem absagenden Vater, für den eigentlich geplanten Kinobesuch, seinen freien Nachmittag nicht nur mit Fernsehen verbringen möchte. Eifrig beginnt er vom mutigen und aufstrebenden Piraten Klaus Störtebeker zu erzählen. Nicht wie Papa, der sich alles vom Chef vorschreiben lässt, handelt und lebt Störtebeker auf seinem Boot. Zusammen mit seiner Crew umschippert er die Meere und erlebt allerlei Abenteuer.

Abenteuerlich geht es auch af der zweiten Ebene der Bühne ab. Bildhaft und liebevoll übersetzt Rita Mohlau den gesprochenen Text in Gebärdensprache. Das Bild füllt sich und erzeugt eine dreidimensionale Sprachbühne, die ohne bewusstes Denken vermag, ein Stück mit einer weiteren Sprache zu verbinden. Es fehlt hier an nichts und so wird eine Sprache für Gehörlose kein bezauberndes Feature, sondern das tragende Element eines ansehnlichen Stückes für Auge und Gehör. Nur eine Sache fehlt und das ist die Losigkeit.

Kurzinfo: Störtebekers Sohn am Landestheater Tübingen
Die einmalige Inszenierung Störtebekers Sohn, wurde am 2 Mai um 18:00 Uhr im Landestheater Tübingen (LTT) uraufgeführt. Felix Schmitt, der unter anderem das Projekt Kultur für alle Sprachen entwickelte und organisiert, wollte als leitender Regisseur eine ganz neue Methode der Inklusion im Theater bedienen und zwar die Verschmelzung mehre Erzähltechniken einer Erzählung in Form von Gebärdensprache, Schauspiel und Erzählung. Weiter führende Informationen zum Regisseur und zu seinem kulturübergreifenden Projekt findest du unter folgenden Links:
Text: Hannah Prendecky

Bild: Julian Berger