„Du willst ausbrechen? Zwinkere mir zu!“

Stage@Play. Ein Bericht vom Symposium zu Theater und neuen Medien (Games) vom 16 – 18. Juli

Theater und Games – wie passt das zusammen? Werden Bildschirme auf die Bühne gestellt, sind das Spiele, die Theaterstücke imitieren oder Shakespeares Dramen als Stoff benutzen? Was aus der Mischung der beiden Genres tatsächlich entsteht, ist sehr verschieden. Interaktives Theater, Real Life Games. Auf einen festen Namen dafür muss man sich noch einigen.

Am 16.-18. Juli 2015 lud das Theater Rampe in Stuttgart zu einem außergewöhnlichen Symposium. Unter dem Titel Stage@Play sollten in drei Tagen neue Spiel- und Theaterkonzepte an der Schnittstelle der beiden Genres untersucht werden. In den letzten Jahren hatten diese besonders in den USA, aber auch global in anderen großen Städten an Bedeutung gewonnen. So kamen Interessierte oder bereits in diesem Bereich Arbeitenden aus ganz Deutschland, zum Teil aus der ganzen Welt, nach Stuttgart, um sich auszutauschen und zusammen neue Ideen zu entwickeln.

19857473646_83f5fc8fce_oDas Theater Rampe hatte es sich zum Ziel gesetzt, Theaterdramaturgen und Gamedesigner zusammenzuführen, da diese oft an Ähnlichem arbeiten, ohne überhaupt voneinander zu wissen. Es galt herauszufinden, welche Rolle Dramaturgen im Game Design einnehmen könnten und umgekehrt. Warum lohnt sich die gegenseitige Auseinandersetzung?

Das Symposium startete mit einem Playwalk, der von Friedrich Kirschner und der Gruppe Invisible Playground gestaltet wurde. Zusammen sollten Spielstrukturen im öffentlichen Raum untersucht werden. Ein Teil der Gruppe spielte verschiedene, von Invisible Playground vorbereitete Spiele. Als Lemminge verkleidet liefen sie durch Esslingen, stellten Mini-Demos auf die Beine und suchten Codes in einem Einkaufszentrum, unauffällig, immer auf der Hut vor der Security. Der andere Teil der Gruppe beobachtete, analysierte und diskutierte über das Geschehen. Wie verändert die Öffentlichkeit des Raumes das Verhalten der Spieler, wie verändern sie ihn durch das Spielen, wie reagieren Unbeteiligte darauf?

19857866586_db6d576ce6_oDas Team von Invisible Playground möchte öffentliche Räume durch Spielstrukturen neu sehen und gestalten. Ungeschriebene Regeln bestimmen, wie man sich hier zu verhalten hat; Spielen gehört normalerweise nicht dazu. Wer sich gegen diese Regeln verhält, ist entweder ein Kind, verrückt, Künstler oder Student. Der Spieler im öffentlichen Raum missachtet bewusst diese Regeln. Im Spiel erschafft er seinen inner circle – eine eigene Spielwelt, einen Kreis, in den andere eintreten, aber mit einem Schritt auch wieder austreten können. Immersion – das völlige Abtauchen in der erschaffenen Welt, wie ausgefeilt oder banal sie auch sein mag, ist dabei zentral. Doch wie verhält sich der Spieler im öffentlichen Raum, wenn die Spielregeln mit denen des echten Lebens kollidieren?

Am Abend setzten sich die Symposiumsteilnehmer in geführten Diskussionen zu verschiedenen Themen zusammen. Über was reden wir, wenn wir über Spiele reden? Welche Erwartungshaltungen gibt es? Welche der Projekte, an denen wir arbeiten wollen, sind überhaupt Spiele, inwiefern, und wieviel Anteil daran hat das Theater?

Verschiedene Menschen, die bereits auf diesem Gebiet arbeiten, konnten währenddessen von ihren Projekten und Erfahrungen berichten. Besonders interessant war, dass dabei immer andere Aspekte der Arbeiten beleuchtet wurden: ob das die Technik war, mit der das Projekt realisiert wurde, die Annahme des Spiels durch die Teilnehmer oder die Dynamik der Spieler untereinander.

Der Däne Michael Valeur, welcher sich selber als Transmedia Architekt bezeichnet, referierte über the doorstep. Gemeint ist damit der Moment der Überschreitung der Grenze zum Privatleben der Spieler, wenn sie das Spiel emotional berührt. Er selbst probierte immer wieder aus, wie weit man dabei gehen kann, ohne die Grenzen der Spieler zu verletzten, unter anderem bei dem Projekt Ego-Trap: Seine Aufgabe war es, einen Museumsbesuch für Kinder zu einer spannenden Erfahrung zu machen. Mithilfe von Handys versuchte er, die skeptischen User in einer öffentlichen Umgebung dazu zu bringen, ein Rollenspiel mitzuspielen. Die Balance zwischen Realität und Fiktion zu behalten, wenn er fremde Kinder durch vorgetäuschte Anrufe, Anweisungen und Spiele zusammenbrachte und sie ein Abenteuer erleben ließ, war dabei die größte Herausforderung.

Aber auch neue Projekte sollten im Symposium entstehen. In Workshops entwickelten unter Anleitung von Coaches kleinere Teams über mehrere Tage Ideenskizzen, Prototypen und neue Ansätze für das Genre.

Eine Gruppe unter Friedrich Kirschner erschuf ein Spiel, das es in sich hatte. Die Spieler wurden in Müllsäcken gekleidet über den Platz gescheucht. Vor einer Brücke an einer voll befahrenen Straße mussten sie Zucker zermahlen, das Pulver über den Platz tragen, abliefern, zurück, weitermahlen: die ganze Zeit von Aufsehern angeschrien, schneller zu arbeiten.

19876617292_6732aa8104_oWas machst du als Spieler dann? Flüchten! Ganz unauffällig schob dir ein anderer Arbeiter einen Zettel zu. Du willst ausbrechen? Zwinkere mir zu! Zusammen mit ihm, allein oder in einer Gruppe ‒ irgendwie schaffst du es, wegzulaufen und dich in einer U-Bahn-Station zu verstecken. Dort warten weitere Rebellen mit Rätseln und Aufgaben, um dich auf die Probe zu stellen. Du jagst durch die U-Bahn, beschattest eine Botin, erlangst Schlüssel und Passwörter bis du dich schließlich in einem Hotelzimmer wiederfindest, wo du das System zerschlägst und damit das Spiel beendest.

Doch die Geschichte musste nicht so verlaufen. Du hättest nicht nur an andere Orte fliehen können, du könntest dich mit den Wächtern anfreunden, sie bestechen, dich hocharbeiten und das System als Aufseher infiltrieren. Das lässt bereits vermuten, wie viele Möglichkeiten solche Spiele bieten. Der Spieler ist nicht an die Wege gebunden, welche die Gamedesigner durchdacht und vorgesehen haben. Es existiert keine unsichtbare Wand, gegen die man irgendwann läuft. Die Spielemacher hier müssen sich auf alle möglichen Züge vorbereiten, die den Spielern einfallen könnten, sich spontan ihren Handlungen anpassen und immer mit jemandem in Kontakt bleiben, der alles von oben überblicken kann.

Eine andere Gruppe arbeitete an einem ähnlichen Spiel mit einer VR-Brille. Fünf Spieler mussten in einem komplett dunklen Raum ein Rätsel lösen. Einer von ihnen trug die Brille, mit der er denselben Raum sah, bloß mit Hinweisen versehen. So musste er die anderen Spieler anleiten, um gemeinsam dem Zimmer zu entfliehen.

Diese Art von Spiel bietet unglaublich viele Möglichkeiten, die gerade erst entdeckt werden. Während man hier zusammensitzt, diskutiert und entwirft, beschleicht einen das Gefühl, dass gerade in diesem Moment eine ganz neue Szene entsteht. Wie wir sie nennen sollen, weiß man noch nicht. Aber auch das wird sich sicher bald entwickeln.

Text: Rosalie Schneegaß

Ausführliche Berichte der einzelnen Veranstaltung zu lesen auf dem Blog von Theater Rampe https://kuhlerampe.wordpress.com/

Bilder: Dominique Brewing

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