Wenn 140 Zeichen einfach nicht reichen

#Twoper zu Salome in der Stuttgarter Oper

Twitter und Oper? Das ist ja wie Fanta zu Kaviar, könnte man meinen. Dass dem nicht so ist, bewies der vergangene Dienstag: Die Oper Stuttgart hatte verschiedene Twitterer (liebevoll im Laufe des Abends zu „Opernschnuppis“ umbenannt) eingeladen, sich die Richard Strauss Oper Salome anzuschauen und nach der Aufführung von der Kantine aus die persönlichen Impressionen via Twitter in die große weite Welt zu schicken. Ich war für TheaterNetz mit dabei und kann nur sagen: Das Experiment ist geglückt. Gebannt von der eben erlebten Vorstellung, diskutierte man sowohl virtuell als auch in der altmodischen Face-to-Face Kommunikation mit anderen Besuchern und Mitwirkenden das eben gesehene Stück. Die Interpretationsansätze, die so geliefert wurden, waren nicht nur sehr interessant, sondern sorgten auch dafür, dass das Opernerlebnis auch nachdem der Vorhang gefallen war, noch präsent blieb. Das Schöne an einem solchen Event ist, dass die Reaktionen online immer noch nachzulesen sind. So endet der Opernabend eigentlich nie. Wer neugierig geworden ist, kann hier und hier ein paar der Tweets nachlesen. Die Idee, das Twittern mit dem Opernbesuch zu verbinden, ist fabelhaft. So wird vielleicht endlich das leicht verstaubte Image des Genres gedreht, und zugänglicher für das Publikum unter 50 gemacht. Denn es gibt viel zu entdecken in der Oper!

Salome1Die Stuttgarter Inszenierung der Salome ist beeindruckend. Das Bühnenbild wirkt kühl, aber ohne dabei den zweifelhaften Charme einer Bahnhofshalle zu entwickeln. Der Aufbau erinnert viel eher an ein Filmset als an ein Bühnenbild. An der hinteren Wand sind verschiedene Monitore angebracht, über die wir teils das Geschehen auf der Bühne im Detail, teils das, was außerhalb des Bühnenausschnitts passiert, durch Überwachungskameras sehen können. Der Zuschauer wird so in die Rolle des Voyeurs gezwungen, eine Rolle, die für dieses Stück essentiell wichtig ist. Man beobachtet, gafft fast und sieht mit Schrecken aber auch mit Distanz, das Geschehen seinen Lauf nehmen. Man weiß was kommt. Man findet es schrecklich. Trotzdem bleibt immer ein Funke Schaulust – und das vor allem wegen der Macht der Inszenierung. Wenn auch nicht so deutlich, wie sonst üblich, kann das als ein Durchbrechen der vierten Wand verstanden werden, das vielleicht gerade dadurch, dass es so unterschwellig passiert, besonders faszinierend wirkt. Dieses Durchbrechen findet aber auch auf einer weiteren Ebene statt: Die Bezüge zu unserem tagtäglichen Umgang mit Gewalt und Terror sind eindeutig. Wenn nicht gerade die Bilder der Überwachungskameras auf den Monitoren erscheinen, sehen wir Nachrichtensendungen, Berichte über den Terror, aber auch die makabre Fernsehserie Happy Tree Friends, in der sich kleine Zeichentricktiere munter abschlachten. (Eine Szene die zwar schauderhaft wirkt, aber erschreckend gut auf die Musik passt!) Kritik an unserem Umgang mit Gewaltdarstellung? Möglicherweise. Klar ist, dass hier ein Gegenwartsbezug ermöglicht wird, der dem Primärtext nicht inne liegt. So ist hier Jochanaan kein Vorreiter des Christentums, sondern erhält durch seine Sprache und sein Aussehen das Erscheinungsbild eines islamischen Propheten. Er bleibt aber das Opfer, das Opfer einer verwöhnten westlichen Familie, die eine Leibwache besitzt. Mafia-Assoziationen gibt es gratis dazu.

Salome2Gesanglich und schauspielerisch ist das gesamte Ensemble herausragend. Besonders erwähnenswert ist hierbei Simone Schneider, die als Salome auftritt. Ihre Salome ist keine erotische Verführerin; sie ist eher ein Kind, das als Spielball der Mutter und des Stiefvaters in einer kaputten Ehe hin- und hergeworfen wird und als Reaktion darauf das große Unheil heraufbeschwört. Die zerrüttete Familie, die nur ein Gegeneinander kennt, bringt ein Kind hervor, das vielleicht gar nicht anders kann, als Zerstörung zu verlangen. Mitleid hat der Zuschauer jedoch nicht. Das liegt zum Teil an der Inszenierung, ist aber primär an die Musik von Strauss sowie an die Texte geknüpft. Wir erfahren nicht viel über das Innenleben der Menschen auf der Bühne – interessanterweise auch nicht über Jochanaan, der ja, wenn man sich nur auf den Plot konzentrieren würde, der Sympathieträger sein müsste. Dadurch, dass Jochanaan nicht nur von einem Sänger, sondern auch von einem Schauspieler dargestellt wird, die zwei verschiedene Aspekte der Figur repräsentieren, wird ihm auch ein Stück Menschlichkeit genommen. Auf der einen Seite (teils sogar tatsächlich räumlich dargestellt) haben wir den Sänger, der als Prophet agiert. Ihm gegenüber steht der Gefangene, der gefoltert, begafft und schließlich ermordet wird. Es ist diese Spaltung der Figur, die Empathie erschwert. Resultierend ist eine gewisse Distanz, die der Zuschauer zum Geschehen entwickelt. Trotz der Distanz entsteht ein vorherrschender Gedanke: Die Liebe, die Salome als bitterschmeckend empfindet, ist vielleicht genau das, was gefehlt hat, um das Unglück zu verhindern – ein Interpretationsansatz der bereits zur Einführung gegeben wurde, die man jedem nur ans Herz legen kann, der sich die Aufführung anschaut. Und anschauen sollte man sich Salome unbedingt, man wird begeistert und benommen sein. Und so lautet wohl der letzte Appell an das anwesende Publikum, die Liebe – statt die Gewalt um uns herum – zum Mittelpunkt unseres Lebens zu machen.

Aktuelle Termine für Salome findet ihr hier. Es gibt vergünstigte Karten für Schüler, Studenten, Bufdies und FSJler.

Text: Amina Gall
Bilder: A.T. Schaefer