Der Vogelhändler

– „Operette ist, wenn auch ich als Mann Makeup tragen kann.“

In Göppingen an einem lauen Spätsommerabend. Auf dem Platz vor der Werfthalle, in der alljährlich die Staufer Festspiele zelebriert werden, sitzen in vielen kleinen Grüppchen Menschen gesetzten Alters beisammen, die alle besser gekleidet sind als ich. Eine Frau mit rosa Haaren und pinker Gießkannen-Handtasche läuft vorbei. Naja, fast alle. Die Atmosphäre ist aufgeladen, Stimmen reden durcheinander. Auf der anderen Seite der Straße erlauben Glasschaufenster einen großzügigen Blick auf die örtliche ü40-Zumba-Kurs-Gruppe. Göppingen rockt.

_mg_8077k„Der Vogelhändler“ ist eine Großveranstaltung. Etwa 1800 Plätze fasst der Veranstaltungssaal, am Eingang wird mein Rucksack durchsucht. Der Platzanweiser schenkt einem ein Papp-Opernglas mit Werbung drauf. Die Location hat einen seltsam rustikalen Edelcharme: Letztlich sitzt das Publikum auf einer Stahlträgertribüne in einem Backsteinbau, aber überall sind die roten Teppiche ausgerollt, es gibt eine VIP-Lounge, in die man nur mit entsprechendem Armbändchen kommt, und das Bühnenbild sieht kein bisschen nach Amateur aus.

Amateur? Die Staufer Festspiele sind nach ihrem Motto aus der Region, aber mittlerweile über die Region hinaus. Und auch wenn es sich beim Publikum an diesem Premierenabend wohl doch hauptsächlich um die Göppinger Society handelt, ist der Anspruch berechtigt. Was hier aufgeführt wird, könnte nicht stehen, ohne zahlreiche ehrenamtliche Helfer, doch „ehrenamtlich“ und „günstig produziert“ sollten auf keinen Fall gleichgesetzt werden. Über mir zwar nicht die Stuckdecke der großen Opern, vorne nicht die komplexe Bühnenmechanik Stuttgarts, aber diese Aufführung ist zweifelsohne ernst zu nehmen und hat mit Laientheater wenig zu tun.

vogelDie starke Besatzung, in der besonders Philipp Nicklaus als Graf Stanislaus und Natalie Karl als Kurfürstin Marie, gesanglich, sowie Vanessa Maria Looß, die Kellnerin Jette gibt, und der Vogelhändler Adam selbst (Matthias Klink) schauspielerisch glänzen, besteht aus professionellen Sängern, die sonst an den großen Opernhäusern der Republik singen. Großartig ist der beeindruckend große und dabei gesanglich sichere Chor, in dem die Altersspanne so groß ist, dass die Kleinsten zum Ende der Aufführung eigentlich schon lange im Bett sein sollten und die Ältesten wohl ebenso. Auch das Orchester und die musikalische Leitung sollen für ihre ausgezeichnete Leistung nicht ungelobt bleiben. Als Schmankerl unterstützt eine 16-köpfige Gruppe von Amateurtänzern, die mal als Nymphen und Faune auftreten, dann als perückentragender Hofstaat, nur um sich letztlich doch als jodelnde Tiroler zu offenbaren.

_mg_0253kEs ist dieser Wille, alle einzubinden, die wollen, der die Staufer Festspiele zu einem besonderen Projekt macht. Menschen ohne nennenswerte Theatererfahrung auf eine Bühne und vor vierstelliges Publikum zu bringen, ist bemerkens- und fördernswert. Ein Freund von mir tanzt mit an diesem Abend. Als er nach der Aufführung aus der Umkleide kommt, trägt er schon einen Anzug für die Premierenparty, hat sich aber noch nicht abgeschminkt:

„Wenn ich schon einmal Makeup tragen kann…“

Wie ich es sehe, geht es bei dieser Operette nicht nur ums Endergebnis, sondern vor allem auch darum, Leute zu begeistern.

Weitere Infos hier: www.staufer-festspiele.de