Party mit totem Neger

Neuen Normalitäten, rosa Peniskuchen und dem schönen Schein der westlichen Toleranz.

Der Titel provoziert. Ein „Neger“ – und auch noch tot! Da läuten doch instinktiv die ‚political correctness‘-Alarmglocken bei jedem Menschen, der sich als liberal und weltoffen versteht. Verstehen will. Verstehen muss? Schließlich ist es rassistisch und gehört in die rechte Ecke. Altes Gedankengut von dem  sich der heutige Mittelschichtbürger bewusst distanziert. Alte „gelbe“ Suppe, kredenzt mit Schwulenfeindlichkeit und Fremdenhass, serviert vom Spießbürger – klingt doch in einer Welt voller Wege und Möglichkeiten wenig verlockend. Doch sind wir wirklich so tolerant, wie wir es vorgeben zu sein? Was passiert auf einem gemütlichen Abend unter Freunden, wenn die eine oder andere Sektfalsche geköpft wurde und die meisten Hemmungen gefallen sind? Hier wird man ja wohl noch offen reden dürfen…

Die Tübinger Premiere des Dramas findet im engbestuhlten Gewölbe des Zimmertheaters in kleiner, aber vollbesetzter Runde statt. Auftakt der Inszenierung besteht aus einem konzisen Rückblick einer vergangenen Geburtstagsfeier. In fließenden, langsamen Bewegungen treten drei Personen auf die Bühne und verfallen allmählich, begleitet von zuckendem Licht, in wildes Tanzen. Wiederholt unterbrechen die Feiernden ihr Treiben und erstarren zur gleichzeitig ausbleibenden Musik – imitieren leider aufgrund der Asynchronität die Stadien des Abends wenig überzeugend.

Vom künstlich wirkenden Anfang bleibt die darauf folgende Aufführung allerdings unberührt und  führt sogleich in die eigentliche Handlung über – einem Austausch zwischen Suzann und Gastgeber Sven, dessen Wohnung einziger Schauplatz des Geschehens ist. Bühnenbildnerin Odilia Baldszun erschuf dafür einen modern wirkenden Wohnraum, der von quadratischen Regalen, welche sowohl im Wohnzimmer aufgestellt, als auch an einer orangenen Rückwand befestigt wurden, dominiert wird. Alkoholflaschen und Dekoartikel stehen in den Fächern verteilt und vervollständigen mit verschiedenen Sitzgelegenheiten und einem kleinen weißen Abstelltisch die hippe Wohnung.

Sichtlich von Drogen beeinflusst, liegt Suzann auf einem Kissen und philosophiert über die Gesellschaft, deren fehlende Einheit eines der größten Probleme unserer heutigen Welt sei. „Versprich mir, dass du nie wieder so unterschiedliche Leute einlädst.“, bittet sie beim Abschied den genervten Sven, der als homosexueller junger Augenchirurg den liberalen Intellektuellen unter den Protagonisten verkörpert. Spitze, rechts-konservativ angehauchte Kommentare Suzanns geben dem Zuschauer einen Wink, in welche sprachlichen und politischen Bahnen das Theaterstück führen wird. Kurz nach Suzanns Verlassen stürmt Jugendfreund Daniel, der als Gegenpol zum offenen Gastgeber fungiert, in die Wohnung und berichtet von der Leiche eines Afrikaners im Flur des Wohngebäudes. Die Bombe ist nun hochgegangen – der Grundstein für das folgende Chaos gelegt. Der eingetretene Schock lässt schon bald nach und macht einer scharfen Diskussion unter den Freunden Platz, die am schönen Schein der toleranten Weltbürger zu kratzen beginnt.

verdaechtigungPaul Schaeffer gibt durch seine Mimik und der teils femininen, stereotypisch schwulen Körperhaltung seiner Rolle „Sven“ eine Authentie, welche bis zum Schluss anhält. Scharfsinnig berechnet der Gastgeber die Zeit zwischen Daniels Verlassens der Wohnung und seiner überraschenden Rückkehr: in der Summe genug Zeit, um die Tat vollbracht zu haben. „Du hast Blut am Ärmel.“ Toni Gojanovic streitet als Daniel vehement ab, der Mörder zu sein und vollzieht in seiner Figur des lässigen, international agierenden Geschäftsmann eine wahre Verwandlung zum egoistischen, misogynen Kapitalisten. Mit Stimmgewalt und starkem Gesichtsausdruck zeigt er Daniels wahres Inneres. „Ach Frauen!“ Sie könnten sich emanzipieren wie sie wollten, aus ihrer Rolle würden sie trotzdem nicht fallen. – Aber ist es nicht er selbst, der seinem wahrem Wesen unterworfen ist und daran scheitert, den Schein des klugen Businessman aufrecht zu erhalten?

Dank Regisseur Axel Krauße besteht im gesamten Stück eine fantastische Verbindung von Wort und Tat. Steigert sich die Sprache zu immer bissigeren Kommentaren und wiederkehrendem rechtem Vokabular, so zieht die Handlung der Protagonisten nach. Aggressive Habiti und physische Gewaltbereitschaft geben der Inszenierung eine durchschlagende Wucht, die selbst beim Publikum eine spürbare Spannung entstehen lässt, und bei den Figuren des Dramas in einer wahren Psychose mündet.

der-peniskuchen-ist-serviert„Keiner kennt den Weg“, schreit Katrin Kaspar, die Reisevermittlerin Suzann verkörpert, in den Raum. Verzweifelt und hysterisch verliert sie sich in ihrer Hilflosigkeit und der Angst vor dem Unwissenden. Einziger Anker im Sturm der globalisierten Welt scheint das vermeintliche Idyll des häuslichen Familienlebens und die radikale Auslöschung jeglicher Individualität um eine Einheit im Multikulti des westlichen Abendlandes zu formen. Es sollte „selektiert“ werden – nach „objektiven Kriterien“, versteht sich! Kaspar schreit, Kaspar weint und unterbricht, auf einer Kokswolke schwebend, dauerstörend den Dialog der Männer. Der Peniskuchen wird kurzerhand zu einer weiblichen Brust umgeknetet. Sie spielt die Rolle mit beispielloser Überzeugungskraft und Intensität – trotz Nacktheit und emotionalen Achterbahnfahrten.

das-wahre-gesicht-danielsDer Drang aller Protagonisten, eine Ordnung und Normalität wiederherzustellen, wie das wiederholte symbolische Aufrichten der Kissen, ist zum Scheitern verurteilt und resultiert in weiteren hysterischen Anfällen der drei Figuren. Von der leichten Unsicherheit der Schauspieler, die zu Beginn der Premiere zu erahnen war, ist im späteren Strudel des Geschehens nichts mehr zu spüren. In „Party mit totem Neger“ werden tiefe Abgründe unserer heutigen Gesellschaft, vor denen wir allzu gerne die Augen verschließen, glaubwürdig auf die Bühne gebracht. Daniel schlägt, misshandelt Suzann, diese versucht Sven zum Geschlechtsverkehr zu bewegen und er, der seinen Rassismus ohne zu zögern in die Runde der Freunde wirft, muss die Schwulenfeindlichkeit der anderen verkraften. Ein Teufelskreis, in dem selbst der Niedrigste sich ein eigenes Opfer sucht.
Das Stück gibt offensive, provozierende Ausdrucksweisen zum Besten und verliert trotz perverser Anspielungen und einem schwarzen Humor, bei dem den Betrachtern das eigene Lachen im Halse stecken bleibt, nie seine Klugheit und seinen Anspruch einer politischen Satire. Rasant, spannend und kurzweilig ist die Inszenierung Kraußes und damit einfach nur sehenswert! Die Themen sind aktueller denn ja, dabei verarbeitete der Autor Kai Hensel die Minenfelder der modernen Welt bereits im Jahr 2000. Gerade jetzt sollten wir uns sensibilisieren und kritisch Stimmungen in unserem Land beäugen, die zuletzt am Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen – sie kamen harmlos, schleichend und verschleierten den Blick auf die Realität. Jetzt ist es an der Zeit einzugreifen, bevor uns die „gelbe“ (braune) Suppe über den Kopf wächst!

Text: Charlotte Appenzeller

Bildrechte: Zimmertheater Tübingen