HAYDI!

Die internationale Figurentheatertruppe „Familie Flöz“ findet mit „HAYDI!“ einen neuen Zugang zum Thema Flucht – und sorgt mit der Inszenierung für ein Wechselbad der Gefühle.

Den Weg vom Ausgangspunkt über den Grenzzaun bis zur Behörde kann man meistens schwer rückverfolgen. Auch bei „HAYDI!“ ist das so, sprunghaft wechselt das Bühnenbild von Berg zu Büro, von Büro zu Grenze, immer und immer wieder. Nacht löst Tag ab, Holzmaske folgt auf Marionette. Verwandt mit der Erzählung „Heidi“ ist das Stück, wie der Titel ahnen lässt. Die aus den Bergen, die mit dem Almöhi? Genau die. Inhaltlich ließe sich das Stück etwa so zusammefassen: Not leiden sollen doch die anderen.

Das Mädchen zum Beispiel, das sich aus den Bergen auf zur Flucht gemacht hat und noch vor der Grenzüberquerung nachts stirbt. Ein Szenario, das ohne Ton auskommt, und dadurch noch erdrückender wirkt. Verregnet ist die Nacht, unbehaglich, die Grenzbeauftragten bergen die Leiche des Mädchens. Ein Kälteschauer zieht bis ins Publikum, Gänsehaut vor Kälte.

haydi1

Dieses eine Mädchen mit dem roten Schal, das immer wieder auftaucht: Als Marionette, der die Melancholie ins Gesicht geschrieben steht, in den Trickfilmprojektionen, später als eine Akte unter vielen. Ihr roter Schal ist vielleicht ein roter Faden, auch wenn ein konsequent verfolgter Erzählstrang schwierig auszumachen ist. Das schadet nicht, „HAYDI!“ kommt ohne klare Linie, ebenso wie ohne den Einsatz von Worten aus. Phonetische Figuren kommen zum Einsatz, ja, selten aber in Form eines Textes: Es bleibt bei Lautsprache, einer „Kakophonie aus Sprachen“, wie es die Truppe selbst fasst.

Ein klischeehaftes Spiel mit Nationalitäten; die Franzosen als stil- und dekobewusst dargestellt, die Italiener als Kaffeeliebhaber und Genießer, die Schweizer als pficht- und ordnungsbewusst. In einer Synthese aus Lauten, Pantomime und dem gezielten Einsatz von Masken und Marionetten beweist Familie Flöz, dass Sprechen nur ein kleiner Teil von gelungener Kommunikation ist und wie stark wortlose Pointen sind.

haydi2

Diese Passagen, sprich zwischenkulturelle Zankereien, mal mehr, mal weniger effektiver Büroalltag, versprechen komödiantische Unterhaltung auf hohem Niveau. Björn Leese beflügelt in seiner Rolle als Büropappnase, den die anderen nicht mehr als eine ausgetretene Fußmatte schätzen: Seinen Zweck soll er erfüllen, mehr möchte man mit ihm nicht zu tun haben. Scheinbare Unbeschwertheit wird aber immer wieder unterbrochen und weicht tiefer Betroffenheit. Wie ein heiß-kaltes Wechselbad, immer dann, wenn die Stimmung auf dem Höhepunkt ist, reißt es den Zuschauer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Nämlich, dass Kälte und Hunger Menschen auffressen und dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen.

Dieses Stück nähert sich der Flüchtlingsthematik endlich ohne (un)beteiligten Parteien Schuld zuzuweisen. Ohnmacht als leitendes Motiv. Ohnmacht des Einzelnen, Unfähigkeit der Verantwortlichen. Eine genial konzipierte Bestandsaufnahme.

 

Text: Leah Wewoda

Bildrechte: Familie Flöz