Wie viel kosten tote Seelen heutzutage?

Aus Toten ein Geschäft machen kann er gut, der alte Tschitschikow: Er verkauft ohne Rücksicht auf Verluste die Identität verstorbener Leibeigener, für die weiterhin Steuern an die russischen Behörden geleistet werden. Autor Nikolai Gogol zeichnet mit „Tote Seelen“ die Umrisse eines mit Grauschleier bedeckten Russlands, in dem 16% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben – und wenige Einzelne vor Geld strotzen.Ein Schädel im XXL Format auf der Drehbühne dient als rundum begehbare Unterkunft. Hintertüren machen verschachtelte Kabuffs zugänglich. In den Augenhöhlen wohnen die Schönen und die Reichen, die Oberschicht. Die Rollläden in Form einer Atzenbrille, die den Gouverneur und seine Tochter von der Außenwelt abschotten, wirken fehl am Platz. Die Choreographie aus Rollladen hoch und runter, in Verbindung mit geschrienen Zeilen, auch.

toteseelen_foto_bettinastoess06

Man folgt als Zuschauer den Pfaden der dunklen Machenschaften des Protagonisten Tschitschikow (Wolfgang Michalek) entlang, der sich gleich zu Beginn, auf subtile Art und Weise, als Autor Gogol „zu erkennen“ gibt – er montiert sich eine clowneske Nase aus Kunststoff ins Gesicht, die Gogols markanter Nase gleich kommt.

Was Gogol über sich selbst sagt:

„Keiner meiner Leser wusste, dass er, wenn er über meine Helden lachte, über mich lachte.“

Je mehr er sich anstrengte, von sich selbst abzulenken, desto eher passierte genau das Gegenteil – und letztendlich ähnelten seine Figuren am meisten ihm selbst. Regisseur Sebastian Baumgarten hält es für nötig, dies in der Inszenierung in aufklärerischer facon auf die Bühne zu bringen. Mitten in das laufende Geschehen grätschen Szenen, in denen mehrere Spieler Gogols Gedanken kundtun, während sie willkürlich auf die Tasten ihrer Schreibmaschinen einhämmern; aus ihrem Mund leuchten LEDs, die Drehbühne ist nicht zu bändigen. So urplötzlich wie diese Szenen einsetzen, ebenso plötzlich sind sie wieder beendet, wodurch sie leider wirken wie Lückenfüller, statt einen relevanten Einblick in die Gedankenwelt eines manisch-depressiven Autors zu gewähren.

Irgendwie machen alle alles, fünf der acht Spieler verkörpern gleich mehrere Rollen, Frau spielt Mann und andersherum. Horst Kotterba macht seine Sache hervorragend, spielt unverkennbar die alte Gutsbesitzerin Korobotschka,füllig und betont weibisch, aber wenig weiblich. Er wirkt in seinen Rollen – als Einziger – glaubhaft, wobei sicherlich allen Beteiligten die Schlagfertigkeit im sprunghaften Rollenwechsel anzurechnen ist.

toteseelen_foto_bettinastoess68

 

Erzwungen wirkt sie, die ins Spiel eingeflochtene Konsumkritik; da bezahlt einer mit einem iPhone – wenn du kein iPhone hast, hast du kein… – immer wieder ertönt ein staunendes „OHO“ wie eine Push-Nachricht, oder, wie man es aus diversen amerikanischen Soaps kennt, Klatschen. Als sich Tschitschikows Handelsfreude weiter breit macht, wird ein Kassenzettel – das muss sein – an die Wand gebeamt :

269 tote Seelen
11.6.2016
————————————–
Vielen Dank für Ihren Einkauf!

Oh! Wie sehr wir uns jetzt doch alle angesprochen fühlen.

Text: Leah Wewoda
Bildrechte: Bettina Stöß