Odin

Alles hat ein Ende. Schenkt man den Nornen, den Orakeln des Nordens Glaube, werden die Götter in einem erbitterten Kampf mit den Riesen allem ein Ende setzen, die Welten verbrennen und alles da gewesene dem Erdboden gleichmachen. Doch jedes Ende hat auch einen Anfang und wir befinden uns schließlich erst in den ersten paar Minuten des Stückes „Odin“ (Regie: Markus Joss) im Zentrum für Figuren Theater Stuttgart, welches uns verspricht, die gesamte Geschichte der Götter Asgards zu erzählen.Erzählen ist in diesem Falle das große Stichwort. In einer Theaterszene wo jedes Stück mit einer Fülle an Metaphern, gesellschaftskritischen Denkanstößen und politischen Meinungen gespickt ist, erschleicht einen manchmal die Sehnsucht nach dem, was Theater in seiner destillierten Form ist: Das Erzählen von Geschichten. Und im Bereich der Sagen und Geschichten führt fast kein Weg an der Sammlung von Sagen um die Asen und Riesen des hohen Nordens, der Edda von dem isländischen Snorri Snurluson, vorbei.

Die Bühne, auf welcher diese göttliche Komödie vonstattengeht, und die Götter ihr Unwesen treiben, besteht aus einer einfachen, von mit Requisiten beladenen Tischen umgebenen, Plexiglasplatte, welche die Erzählerinnen (Susanne Olbrich und Stephanie Rinke) und ihre Puppengötter mit einem rasanten Austausch an Figuren und Charakteren bespielen. Die beiden schaffen es, jeder Figur deren Rolle sie annehmen einen eigenen, individuellen Anstrich zu verpassen und bieten dem Zuschauer dadurch trotz der minimalen Besetzung einen vielfältigen Pantheon mit vielerlei verschiedenen Eigenschaften und Makel, welche selbst die Götter menschlich wirken lassen. Inmitten des ganzen Geschehens steht Odin, der Allvater, welcher sich, nachdem er mit seinen zwei Brüdern aus dem Körper seines Vaters die Welt formte, zum König der Götter erklärt. Der Gott und ewige Sucher der Weisheit scheint eben diese jedoch nicht mit Löffeln gegessen zu haben. Denn selbst nachdem unser werter Wotan von der Quelle der Weisheit trinkt, zeigt sich sein Entscheidungsvermögen dadurch nicht gebessert und er stolpert, trinkt und kämpft sich seinen Weg mit einer sympathisch dümmlichen Haltung durch die Handlung.

Die musikalische Untermalung von Tobias Duschke, aber vor allem die hervorragende Geräuscharbeit von Max Bauer, welcher mit allerlei Requisiten live am Rande der Bühne seine Geräuscheffekte zugunsten kommen lässt, passt sich dem Spiel der beiden Schauspielerinnen nahtlos an und verleiht dem Stück einen weiteren Zug des klassischen Genschichtenerzählens.

Die Puppen welche die Hauptrollen füllen sind allesamt mit einzigartigen, charakterunterstreichenden Zügen versehen. So fehlt Odin zum Beispiel ein Auge und Loki, dem verräterischen Halbgott, ist permanent eine Fratze des Misstrauens auf das Gesicht gezeichnet. Die Spielweise und Interaktion der Figuren miteinander und mit den Erzählerinnen wirkt organisch, ihre Körperhaltungen immer Indikativ der Gefühlslage.

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Selbst die Erzählerinnen können sich den göttlichen Machenschaften und Intrigen nicht entziehen und werden oft in die Handlung mit einbezogen und liefern den Göttern Informationen oder unterhalten sich auf einer Ebene mit ihnen. Diese Metaebene zeigt sich auch in der Interaktion der Figuren mit Bühnenelementen und Requisiten auf unkonventionelle und aktuelle Art, welche das Stück mit einer guten Dosis Humor versieht. So kommt Odin zum Beispiel die Idee für das Reich der toten Krieger „Walhall“ beim gemeinsamen rauchen eines Joints, Odin und Loki treffen sich regelmäßig auf ein Feierabendbierchen und Odins Sohn Baldur macht Bemerkungen über das merkwürdige Schild, welches die Zuschauer zum Notausgang weist. Trotzdem kann das Stück seinen inhärenten Ernst und das Gefühl über das drohende Ende der Welt beibehalten, bis es schließlich, mit einem hilflosen Gott, dessen Menschlichkeit nun durch seine Machtlosigkeit nur noch deutlicher gemacht wird, alles zum tragischen Ende kommt, nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern.

Text: Jan Schneider
Bildrechte: FITZ Stuttgart